Im vergangenen November trafen sich die Staats- und Regierungschefs der 20 größten Ökonomien der Welt zum Gedankenaustausch in Brasilien. Die Abschlusserklärung des G20-Gipfels [1]gibt einen Einblick, wie die Mächtigen der Welt ihr Regierungsgeschäft verstanden wissen wollen.
1. Herausforderungen: »Wir, die Staats- und Regierungschefs der G20, sind zusammengekommen, um uns mit den großen globalen Herausforderungen und Krisen auseinanderzusetzen«, schreiben sie. »Wir bekräftigen unsere jeweiligen Zusagen, dringende Maßnahmen zur Bewältigung der Krisen und Herausforderungen zu ergreifen, die sich aus dem Klimawandel, dem Verlust der biologischen Vielfalt, der Wüstenbildung, der Verschlechterung der Meeres- und Bodenqualität, der Dürre und der Umweltverschmutzung ergeben.«
Die G20, die 85 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und den größten Teil der politischen Macht auf sich vereinen, präsentieren sich gleich zu Beginn nicht als Akteure, sondern als unschuldige Betroffene. Sie sehen sich »mit großen geopolitischen, sozioökonomischen, klimatischen und ökologischen Herausforderungen« konfrontiert. Sprich: Armut, Umweltzerstörung, Kriegsgefahr sollen nicht Ergebnisse ihres Handelns sein, sondern Aufgaben, die ihnen von der »Lage« gestellt werden. Die Rede von den »gemeinsamen Herausforderungen« verschleiert dabei, dass die ökologischen und sozialen Probleme der Welt aus der Konkurrenz – also dem Gegeneinander – der G20-Staaten resultieren: Wettbewerbsfähigkeit, Kostensenkung, Kriege, Kampf um Marktanteile.
2. Verantwortung: »Gemeinsam tragen wir eine kollektive Verantwortung für die wirksame Leitung der Weltwirtschaft und fördern die Bedingungen für ein nachhaltiges, widerstandsfähiges und integratives globales Wachstum.«
Die Herrscher der Welt übernehmen hier nicht die Verantwortung für den Zustand der Welt, für Klimakrise, Armut und geopolitische Konflikte. Dafür aber übernehmen sie die Verantwortung für die Behebung der Probleme, mit deren Entstehung sie nichts zu tun haben wollen. Im Klartext: Die G20 reklamieren ihre Zuständigkeit für Weltpolitik und beanspruchen die »Führungsrolle« bei der Schaffung einer nachhaltigen und gerechten Welt – wobei unklar bleibt, woran Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit immerzu scheitern. Mit der Übernahme von »Verantwortung« rücken die G20 zudem ihr Tun in ein moralisch einwandfreies Licht: Sie drücken sich nicht vor den Pflichten einer Führungsrolle, die sie sich selbst zuschreiben.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen[2].
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen[3].
4. Gegeneinander: Die G20 beklagen, dass das »Wachstum in den verschiedenen Ländern extrem ungleich ist und das Risiko der ökonomischen Spaltung fördert«. Sie »bekräftigen auch unser Engagement, die Entwicklungsländer bei der besseren Integration in die globalen Industrie-, Wertschöpfungs- und Lieferketten zu unterstützen.« Aus Sicht der G20 liegt das Problem armer Länder also nicht an der Art und Weise, wie diese in die »Wertschöpfungsketten« integriert sind, sondern an ihrer Nicht-Integration.
Dass die Konkurrenz auf dem Weltmarkt Gewinner und Verlierer schafft, problematisieren die G20 als Wachstumsdifferenz. Daneben beklagen sie die Eskalation ihrer politischen Gegensätze: »Wir nehmen mit Sorge das unermessliche menschliche Leid und die negativen Auswirkungen von Kriegen und Konflikten in der ganzen Welt zur Kenntnis« – auch jener Kriege, die die G20 führen, finanzieren oder alimentieren.
5. Hunger: Weltweit wächst die Zahl der hungernden Menschen. Dazu stellen die G20 fest: »Die Welt produziert mehr als genug Nahrungsmittel, um den Hunger auszurotten. Gemeinsam mangelt es uns weder an Wissen noch an Ressourcen, um den Hunger zu besiegen. Was wir brauchen, ist der politische Wille, die Voraussetzungen für einen besseren Zugang zu Nahrungsmitteln zu schaffen.« Dass die Herrscher über die Weltwirtschaft hier das Fehlen ihres eigenen Willens beklagen, hat schon etwas schizophrenes.
6. Umverteilung: Die G20 versprechen, sie »werden sich bemühen, um sicherzustellen, dass sehr vermögende Personen effektiv besteuert werden«, womit sie de facto überhaupt nichts Konkretes versprechen. Sie halten daran fest, dass ihr Bemühen um eine Besteuerung der Reichen »unter voller Wahrung der Steuerhoheit« der Staaten stattfinden muss. Damit drückt das Gremium aus, dass jeder Staat selbst über seine Steuern entscheiden kann und daher die Besteuerung der Reichen zum Wohle des eigenen Standortes unterlassen darf – dass sie kurz gesagt die Ursache des globalen Steuersenkungswettlaufs nicht antasten werden.
7. Schulden: Rund 150 Staaten des Globalen Südens gelten derzeit als überschuldet. Die G20 »betonen daher erneut, wie wichtig es ist, die Schuldenanfälligkeit von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen wirksam, umfassend und systematisch anzugehen«. Während die Schulden als gemeinsames Problem deklariert werden, bleibt die Rolle jener Akteure ungenannt, die vor allem in den G20-Staaten zu Hause sind: die Gläubiger, die den armen Ländern Geld geliehen haben und jedes Jahr Hunderte von Milliarden an Zinsen von ihnen erhalten.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187952.propaganda-iv-g-gipfel-goldene-worte-vom-gipfel.html