»Jeden kann es treffen.« Als Brandenburgs Behindertenbeauftragte Janny Armbruster[1] am Montag forderte, die Belange der Behinderten im Bundesland stärker in den Blick zu nehmen, legte sie vor allem Wert auf Bildung und Arbeit. Deutschland sei bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention keineswegs vorbildlich, sagte sie. Ihr Kriterium: Gelingt es, durch intensive und gezielte Förderung möglichst viele Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren?
Vor allem, was das gemeinsame Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern[2] betrifft, gebe es erhebliche Defizite, sagte Armbruster. Zwar gebe es in 231 brandenburgischen Schulen inklusiven Unterricht[3], doch existierten immer noch 82 Förderschulen ausschließlich für behinderte Schüler. Ziel müsse es bleiben, möglichst viele Förderschulen zu Inklusionsschulen[4] »umzubauen«. Der Beauftragten zufolge sind Menschen, die erst eine Kita für Behinderte besuchen, dann eine Förderschule und schließlich eine Ausbildung speziell für Behinderte machen, damit praktisch nicht im ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. Die Erfolgsquote liege bei ihnen bei nur einem Prozent. Für die anderen bleiben dann nur die Behindertenwerkstätten.
Es sei aber ein »Menschenrecht« der Behinderten, gleichberechtigt am allgemeinen Leben teilzuhaben. Von der neuen SPD-BSW-Regierung erwartet Armbruster, »dass wir da mehr tun«. Die Praxis zeige, dass Menschen, die den Schutzraum der Werkstätten verlassen, praktisch kein Rückkehrrecht haben. Dies setze diesem Schritt ebenfalls Grenzen. Was die neue Regierung plane, sei im Einzelnen aus dem Koalitionsvertrag der beiden Parteien nicht klar ersichtlich.
In Brandenburg gibt es 26 Betreiber von Behinderten-Werkstätten, die gleichzeitig auch für die Betreuung und Unterkunft sorgen. Bei ihnen arbeiten rund 10 000 Menschen für 1,50 Euro pro Stunde. Das sei ein »Trinkgeld«, meinte Armbruster. Ist das Ausbeutung? Armbruster erklärte, dass die Unterhaltskosten deutlich über dem Gewinn liegen, den solche Werkstätten mit ihren Produkten
erzielen. Es brauche also erhebliche Zuschüsse vom Staat. Nichtsdestotrotz müsste der lächerlich geringe Stundenlohn erhöht werden. Denn: »Das ist nicht das, was wir unter Teilhabe verstehen.«
Inzwischen erfüllt die Landesregierung mit 5,6 Prozent die gesetzliche Anforderung, mindestens fünf Prozent der Stellen im Landesdienst an Behinderte zu vergeben. Das war in früheren Jahren, vom Gesundheits- und Sozialministerium abgesehen, keineswegs immer so. Leider sinke die Quote aber wieder, bedauerte Armbruster, denn sie sei schon einmal mit 5,9 Prozent übererfüllt worden. Der Arbeitskräftemangel an allen Ecken und Enden zwinge inzwischen auch kleine Handwerksbetriebe, die Einstellung von Behinderten zu erwägen. Die Beauftragte lobt den US-Konzern Tesla, in dessen Autofabrik in Grünheide inzwischen 129 Gehörlose angestellt seien.
Firmen, die die Behindertenquote verfehlen, müssen eine Abgabe zahlen. Die Mittel werden dann dafür verwendet, behindertengerechte Arbeitsplätze zu schaffen.
Von den 2,6 Millionen Einwohnern Brandenburgs sind mehr als 500 000 behindert und etwa 268 000 schwerbehindert. Etwa drei Prozent der Bevölkerung werden mit einer Behinderung geboren, andere werden im Laufe ihres Lebens durch Unfälle oder Krankheiten behindert. 4291 schwerbehinderte Brandenburger waren im Dezember arbeitslos gemeldet. Sie sind doppelt so häufig von Erwerbslosigkeit betroffen wie nicht behinderte Menschen. Insgesamt beträgt die Arbeitslosenquote in Brandenburg derzeit 6,2 Prozent.