Zwei Live-Alben, einmal von einem Quartett, das von produktiver Selbstbegrenzung ausgeht, einmal von einem Ensemble, das sich in aller Opulenz im Kollektiv wegbeamt.
Jeff Parker[1] ist im Dunstkreis des International-Anthem-Labels aktiv und Gitarrist, unter anderem in der Band Tortoise, die Ende der Neunzigerjahre des letzten Jahrtausends Jazz und Postrock um einiges konsequenter und multiperspektivischer zusammendrechselte als alle zahlreichen Epigonen danach. Mit seinem ETA IVtet verbindet Parker zwei Pole seines Schaffens: einmal den jazzigen Postrock von Tortoise, einmal den die Chicagoer Jazz-Geschichte fortschreibenden Sound vieler International-Anthem-Bands.
Das neue, zweite Album des ETA IVtet, »The Way Out of Easy«, wurde an einem der Konzertabende aufgenommen, die das Quartett über sieben Jahre immer montags im inzwischen geschlossenen ETA Club in Los Angeles gespielt hat. Zu hören sind vier lange Stücke, die auf der Vinyl-Ausgabe jeweils eine Seite füllen: »Freakadelic« beginnt mit einem stoischen Midtempo-HipHop-Beat, über den der Saxofonist Josh Johnson einen einleitenden Schwall an Minisoli auskippt. Im Lauf der folgenden zwanzig Minuten nehmen die Band und vor allem Schlagzeuger Jay Bellerose und die Bassistin Anna Butterss immer wieder aufs Neue kleine rhythmische Verschiebungen vor, die im hypnotisch gestimmten Gesamtbild dann sehr weitreichend wirken, bis »Freakadelic« mit Tortoise-artigen Minimal-Music-Variationen ausklingt.
In »Late Autumn« zeigt Jeff Parker, wie man auf der Gitarre eine Ambient-Jazz[2]-Ballade so spielen kann, dass ausgeprägte Relaxtheit mit hoher Konzentration zusammengeht und beides durchgängig hörbar präsent bleibt. Überhaupt wirken die Stücke wie die Ergebnisse von Aufgaben, die die Band sich selbst gestellt hat, mit der Maßgabe, sie in völliger Entkrampfung zu lösen. Beim Titelstück »The Way Out of Easy« könnte es die Idee gewesen sein, fragmentarisch Improvisiertes und sanfte Grooves so fließend wie möglich hin und her alternieren zu lassen.
»The Way Out of Easy« endet mit dem analogen Dub »Chrome Down«, der die Echos live produziert und noch einmal sehr schön zusammenfasst, was die Soundästhetik und die Spielweise des ETA IVtet ausmacht: minimaler Aufwand, alles wirkt wie aus dem Ärmel geschüttelt, bei maximaler Wirkung. Eines der musikalisch und konzeptuell stringentesten Jazz-Alben des letzten Jahres.
Bei dem auf »Live at the Adler Planetarium« dokumentierten Auftritt von Rob Mazureks Exploding Star Orchestra ist der Aufwand ungleich größer. Mazurek hat mit seinem Orchester Stücke vornehmlich von seinen zentralen Alben »Lightning Dreamers« und »Dimensional Stardust« in Teilen noch einmal neu montiert. Es wird so einiges aufgefahren, was dann ineinander fließt. Der Trompeter Rob Mazurek hatte ein mittelgroßes Ensemble (Cello, Klavier, Moog Synthesizer, Bass und zwei Schlagzeuger), die experimentierfreudige Sängerin Nicole Mitchell und den Spoken-Word-Artist Damon Locks unter dem künstlichen Planetariumshimmel versammelt, um mehrfach geschichteten, umher mäandernden Spacejazz zu fabrizieren.
Beide Alben ergeben zusammengehört ein schönes, mehrdimensionales Bild vom Stand der Dinge im Jazz der Chicago-Schule, die die Verbindung zu Sun Ra[3], der Association for the Advancement of Creative Musicians und der Fire Music nicht gekappt, aber in andere Richtungen, ins Artifiziellere und Abstraktere weitergesponnen hat.
Jeff Parker & ETA IVtet: »The Way Out of Easy«(International Anthem/Nonesuch)
Rob Mazurek – Exploding Star Orchestra: »Live at Adler Planetarium« (International Anthem/Nonesuch)
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188114.moderner-jazz-relaxte-konzentration.html