Ein Rückblick hilft, um zu verstehen, was bei der nordrhein-westfälischen Linken am Samstag passiert ist. April 2021, die Corona-Pandemie tobt noch, bei der Linke-NRW treffen sich nur die Kandidat*innen zu einer Aufstellungsversammlung in Essen. Die Delegierten wählen von Zuhause aus. Kurz vor der Aufstellungsversammlung machen die ersten Berichte über Sahra Wagenknechts Buch »Die Selbstgerechten« die Runde. Wörter wie »Lifestylelinke« und »skurrile Minderheiten« machen die Runde und sorgen auch unter Linken für Kritik. Trotzdem ziehen Wagenknecht und ihr Lager in der NRW-Linken durch und besetzen die aussichtsreichen Listenplätze. Mit der Gründung des Wagenknecht-Bündnisses BSW verlieren die Linken von Rhein und Ruhr dadurch später vier von sechs Abgeordneten. Nur Kathrin Vogler und Matthias Birkwald hielten der Partei die Treue. Nach vier Wahlperioden im Bundestag hören aber auch die beiden nun auf. Die Liste, die die Landes-Linke am Samstag nun gewählt hat, erhält daher nur Bundestagsneulinge.
Politisch unerfahren geht die Gruppe trotzdem nicht in den Wahlkampf. Auf den ersten Platz der Landesliste wurde Sascha Wagner gewählt, der acht Jahre Landesgeschäftsführer der Linken war und seit zwei Jahren den Landesverband führt. Wagner ist außerdem leidenschaftlicher Kommunalpolitiker. Im Bundestag will er sich daher für die Interessen der finanziell gebeutelten Kommunen einsetzen. Gleichzeitig machte er klar, dass der Kapitalismus »keine Gerechtigkeit bringen« werde. Gegenüber »nd« gab es sich Wagner hoffnungsvoll, dass die Linke nicht nur über drei Direktmandate in den Bundestag einziehen werde, sondern auch die Fünf-Prozent-Hürde knacken werde.
Auf Platz zwei der Landesliste wählten die Delegierten Cansin Köktürk. Die 31-jährige Sozialarbeiterin veröffentlichte vor zwei Jahren das Buch »Unsozialstaat Deutschland« in dem sie für eine »radikal humanistische« Politik plädiert. In ihrer Rede am Samstag spannte Köktürk dann einen noch größeren Bogen. An die Adresse der Grünen stellte sie die Frage: »Wo ist die humanistische Außenpolitik, wenn 70 Prozent der Toten in Gaza Frauen und Kinder sind?« Ihren Schwerpunkt legte Cansin Köktürk im Bereich der Sozialpolitik und erklärte, dass »Verantwortung übernehmen« für sie bedeute, sich für eine gerechte Steuerpolitik und Umverteilung einzusetzen. Köktürk versprach, als Sozialarbeiterin in den Bundestag zu gehen und es im Parlament auch zu bleiben.
Auf die vergleichsweise aussichtsreichen Listenplätze drei bis sechs wurden die Kölner Seenotretterin und Krankenschwester Lea Reisner, der friedenspolitisch aktive und »kampferprobte« Gewerkschafter Ulrich Thoden aus Münster, die Dortmunder Kommunalpolitikerin Sonja Lemke und Mirze Edis gewählt, der seit 31 Jahren im Betriebsrat der Hüttenwerke Krupp Mannesmann in Duisburg aktiv ist.
Kathrin Vogler, die ins Ehrenamt wechselt und weiter Landessprecherin bleibt, sowie Rentenexperte Matthias Birkwald, der sich nun selbst in die Rente verabschiedet, hatten noch allerhand gute Tipps für ihre designierten Nachfolger*innen im Bundestag. Vogler empfahl, möglichst viel an der Basis aktiv zu sein, »das hat mich immer wieder geerdet und mir unheimlich viele Ideen gebracht«. Birkwald erinnerte die Delegierten daran, dass er insgesamt acht Bundestagswahlen hinter sich hat und erst bei der vierten gewählt wurde. Von einzelnen Niederlagen solle man sich also nicht entmutigen lassen. Für ihn sei es dagegen »auch mal gut«, Demokratie lebe von Veränderung. Er sei froh, wenn jetzt »mehr Köln und weniger Berlin in meinem Leben ist«.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188167.bundestagswahl-linke-nrw-mit-newcomern-nach-berlin.html