Vor über 700 Jahren revolutionierte Dante Alighieri das Nachdenken über Sprache. Während sich der 1265 in Florenz geborene Dichter mit seinem auf Lateinisch verfassten Traktat »De vulgari eloquentia« (Zwei Bücher über die Ausdruckskraft der Volkssprache) an einen Kreis von Gelehrten wandte, wählte er für seine berühmt gewordene »Göttliche Komödie«[1] seine Muttersprache, das Florentinische volgare. Dante-Forscher nehmen an, dass die »Göttliche Komödie« zwischen 1306 und 1321 entstanden ist. In ihr werden wir durch die Hölle zum Mittelpunkt der Erde und von dort über den Läuterungsberg ins Paradies geführt.
Für ihre 100. Jahrestagung kehrte die Deutsche Dante-Gesellschaft Ende Oktober 2024 an ihren Gründungsort Dresden zurück. Zum Programm der Jahrestagung gehörte auch eine Besichtigung von Schloss Weesenstein. Dantes facettenreiche Sprache, seine Wahl der unterschiedlichsten Wörter und Register, bewegte einst König Johann von Sachsen dazu, im 19. Jahrhundert regelmäßig interdisziplinäre Zusammenkünfte auf den Schlössern Weesenstein und Pillnitz abzuhalten. Sie dienten dazu, die comedìa zu übersetzen und ihre wissenschaftlichen Hintergründe zu kommentieren. Unter Johanns Patronat wurde am 13. September 1865 in Dresden die Deutsche Dante-Gesellschaft mit dem Zweck der »Erweiterung und Verbreitung des Verständnisses des Dichters und der Liebe zu demselben« gegründet.
Ein guter Ort für eine Zusammenkunft der Dante-Aficionados wäre auch Station Island in dem in der irischen Grafschaft Donegal gelegenen Lough Derg. Die Insel ist bis heute ein Pilgerort. In einem »Reyßbuechlein« aus dem Jahr 1640 heißt es: »Das Fegfeuer des Heiligen Patritij ubertrifft alle Wunderding / welche in Irrlandt zu finden seynd. Es ist diß ein Hoele oder Spelunck mit einem See oder Wasser umbgeben in der Provinz Ultonia.«
Die Purgatoriumsvorstellung fand Verbreitung durch den »Tractatus de Purgatorio Sancti Patricii«, eine um 1170–1185 in mittellateinischer Prosa von einem Mönch (unter dem Namenskürzel »H.«) geschriebene Schilderung der Jenseitserfahrung des Ritters Owein im Purgatorium des Heiligen Patrick, die in der einen oder anderen abgeleiteten Version auch Dante bekannt war.
Anfang November 2024 erschien im Manesse Verlag eine sehr elegante Prosaübersetzung der »Komödie«, die Rudolf Georg Adam zu verdanken ist. Die Ausgabe enthält auch einen Leitfaden zur Dante-Literatur, eine Zeittafel und einen Wegweiser zu den markantesten Stellen. Im Nachwort schreibt Adam über Dantes Hauptwerk, es habe »mit dem, was wir unter einer Komödie verstehen, nichts gemein«. Wie aber sei »der eigenartige Titel« entstanden? »Dante selbst nennt sein Gedicht ›comedìa‹ in einer schon zu seiner Zeit ungewöhnlichen Schreibweise mit nur einem ›m‹ und einem Akzent auf dem ›i‹. Vermutlich wollte er durch die eigenwillige, ans Griechische angelehnte Schreibweise andeuten, dass seine ›comedìa‹ etwas grundsätzlich anderes sei als jene klassischen Komödien, die von Plautus oder Terenz überliefert waren.« Denn Dante, so Adam, verbinde »ein phänomenales Einfühlungsvermögen mit einem unerbittlichen Gerechtigkeitssinn. Alles Unrecht muss seine angemessene Strafe finden, wenn nicht im Diesseits, dann doch jedenfalls im Jenseits.«
Dante starb in der Nacht vom 13. auf den 14. September 1321 in Ravenna, wo er ungefähr drei Jahre zuvor Aufnahme am Hof des Guido Novello della Polenta gefunden hatte. Dantes Grabstätte, errichtet 1780, befindet sich an der Außenseite des Kreuzgangs der Kirche San Francesco. Ganz in der Nähe befinden sich das Museum und das Haus Dante (»Museo e Casa Dante«).
Dokumente, Relikte oder gar handschriftliche Texte, die Dante zugerechnet werden könnten, existieren nicht. Daher bietet das Museum zunächst eine imaginäre Zeitleiste, mit der die Komplexitäten der Ära Dante dargestellt und die Streitpunkte der Dante-Forschung aufgezeigt werden sollen. Der nächste Raum ist den künstlerischen Darstellungen Dantes gewidmet. Der Erste, der eine Art Biografie Dantes schrieb, war Giovanni Boccacio (1313–1375): »Trattatello in laude di Dante (Deutsch: Abhandlung zum Lobe Dantes)«. Boccacio griff auf Legenden und Erzählungen sowie auf konkrete Lebensdaten und -ereignisse Dantes zurück und verglich diese mit Dantes Hauptwerk. Zu sehen sind einige Reproduktionen von Skulpturen, die Dante gewidmet sind. Bekannte Dante-Darstellungen, die nicht in Ravenna zu sehen sind, verdanken wir den Künstlern Johann Heinrich Füssli, William Blake, Joshua Reynolds und Ferdinand Victor Eugène Delacroix.
Der nächste Raum, »Montevideo-Raum« genannt, existiert seit 1921 nahezu unverändert. Der Name verweist darauf, dass nach Montevideo emigrierte Italiener zur Raumausschmückung finanziell beitrugen. Das zentrale Element ist die Deckendekoration mit einem Vers aus Dantes »Purgatorio«: »Seht ihr nicht, dass wir Raupen sind, dazu geboren, / uns zu Engelsfaltern auszubilden und aller Erdenschwere frei / der ewigen Gerechtigkeit entgegenzuschweben?« (in der Adam-Übersetzung). Das wohl wichtigste Exponat des Museums ist in der »Halle des Kults« die Tannenholztruhe, in der seit 1677 die Gebeine Dantes aufbewahrt wurden. Nach der Durchquerung des Raums, in dem u. a. eine Lego-Büste des Dichters zu sehen ist, folgt die audiovisuelle Vorstellung der »Göttlichen Komödie«, wobei die Präsentation gelegentlich psychedelisch anmutet.
In der Casa Dante sind Gemälde, Illustrationen und Skulpturen aus dem 18. und 19. Jahrhundert zu sehen. Im Begleitheft zur Museumspräsentation wird auf die Bedeutung der Dante-Rezeption während des Risorgimento sowie auf die Dante-Bewunderung des Nationalisten und Befürworters des Republikanismus Giuseppe Mazzini [2](1805–1872) hingewiesen. Mazzini blieb nicht der einzige Bewunderer Dantes. James Joyce etwa ließ sich vom Autor der »Göttlichen Komödie« inspirieren, und Walter Benjamin studierte Erich Auerbachs Werk »Dante als Dichter der irdischen Welt«. In einer Anmerkung verweist er auf André Bretons Buch »Nadja«, das auch Gegenstand in seinem Surrealismus-Aufsatz war, an dem er zur selben Zeit arbeitete.
Museo e Casa Dante, Via Dante Aligheri 2/A und via G. Da Polenta 4, Ravenna, Italien
Dante Aligheri: Die Göttliche Komödie. Aus dem Italienischen und mit Anmerkungen versehen von Rudolf Georg Adam, unter redaktioneller Betreuung von Jochen Reichel. Manesse Verlag, 672 S., geb., 80 €.