nd-aktuell.de / 15.01.2025 / Kultur / Seite 1

»Tracing Light« im Kino: Von Lichtforschern und Sonnenanbetern

In seiner Dokumentation »Tracing Light« erkundet der Regisseur Thomas Riedelsheimer das Phänomen Licht

Gunnar Decker
Wenn man das Licht beobachte, heißt es, dann merke dieses das sofort und verändere sich.
Wenn man das Licht beobachte, heißt es, dann merke dieses das sofort und verändere sich.

Photonen scheinen seltsame Gesellen zu sein: Wenn zwei von ihnen in ein schwarzes Loch stürzen, verschwindet das eine darin und das andere kann sich retten. Vielleicht kehrt auch das im schwarzen Loch verschwundene Photon später einmal zurück, aber man weiß nicht, ob es dann noch aus jenem Licht gemacht ist, das es einmal war.

Offenbar sind das die Geschichten, die Physiker sich erzählen, wenn es ihnen mit bloßen Zahlen zu langweilig wird. Vor allem dann, wenn es um die 40. Stelle nach dem Komma geht, nach der, wie es hier heißt, wir ohnehin mit unserem bisherigen Denken (einschließlich Einsteins Relativitätstheorie) nicht mehr weiterkommen? Aber wie dann, vielleicht mit lustigen Eselsbrücken wie die von den beiden Photonen? Das Licht-Problem, wie ich es verstanden habe, liegt darin, dass Licht zugleich teilchen- und wellenförmig ist, was dramatische Folgen für seinen Aufenthaltsort und den jeweiligen Zeitpunkt hat. Und ohne jenen Gegenstand, auf den das Licht zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort trifft, ist es nicht es selbst.

Thomas Riedelsheimers »Tracing light« ist voll von seltsamen Geschichten über das Licht. Aber am seltsamsten dabei scheint, dass die Frage nach dem Licht, wie sie sich seit Platon durch die Philosophie als Thema zieht, dabei keine Rolle zu spielen scheint. Vor allem der heftige Streit, den Goethe mit seiner »Farbenlehre« ausfocht – seine vehemente Polemik gegen Newtons im Experiment beweisbaren sieben farbigen Spektren, in die sich das weiße Licht zerlegen lasse. Goethe bezweifelte die Spektralfarben keineswegs, aber sein Einwand war, dass dies bloß eine quantitative Aussage über das Licht und die Farben sei. Ihm aber gehe es um die Qualität der Farben und damit des Lichts. Das weiße Licht ist für Goethe eben auch eine Art »Urlicht«. (Worin ihm die moderne Forschung mit ihrer Annahme von der »kosmischen Hintergrundstrahlung« recht zu geben scheint.) Goethes emphatischer Ausruf lautete, Farben seien »Taten des Lichts, Taten und Leiden«. Damit bekommt das Licht bei ihm seine welthistorische Bedeutung. Goethe contra Newton, wäre das nicht die Urszene jeder ernsthaften kulturhistorischen Debatte über Licht, Farben und Zeit?

Über die Morgenröte einer neuen Zeit hätte ich in dem Film von Thomas Riedelsheimer ebenso gern etwas gehört wie über die Abenddämmerung einer Epoche. Aber nichts davon, hier wird mit verblüffenden Effekten gespielt, dass es nur so esoterisch kracht. Wenn man das Licht beobachte, heißt es, dann merke dieses das sofort und verändere sich. Vielleicht geht das jedem so. Wenn man mich beobachtet, verändere ich mich auch sofort, je nachdem, wer mich beobachtet, zeige ich dann meine beste oder schlechteste Seite. Und was sagt uns die Mitteilung, dass die Zeit unten an den Füßen langsamer (oder war es schneller?) vergehe als in der Höhe des Kopfes? Was folgt denn daraus Relevantes in Bezug auf das Licht – und auf uns? Was passiert etwa, wenn ich mich auf den Kopf stelle, ist das der Zeit egal, oder nicht?

Auf diese Weise kommen wir nicht über die Sphäre der verblüffenden Taschenspielertricks hinaus, wie sie ein Jahrmarkt bietet. Natürlich, das Licht kann täuschen. Alles ist eine Frage der jeweiligen Beleuchtung, wissen wir längst. Ein Problem ist es wohl auch, dass Riedelsheimer zum einen in seinem Film Quantenphysiker zu Wort kommen lässt, die sich offenbar daran gewöhnt haben, nie verstanden zu werden, besonders dann, wenn sie Einsteins Relativitätstheorie ins Feld führen. Sie verstecken sich dann vor der Kamera hinter einem verschwörerischen Lächeln und kruden Anekdoten. Aber da gibt es zum anderen auch noch Licht-Künstler wie Daniele Faccio und seine Extreme Light Group oder das Künstlerduo Semiconductor – und schon fühlt man sich wie in eine Hightech-Alchimistenküche versetzt.

Licht ist eben ein seltsamer Stoff, mit dem man blenden kann. Man stellt das eine ins Rampenlicht und schiebt das andere ins Dunkel, wo es niemand mehr bemerkt. Goethe übrigens hat klugerweise seine Farbenlehre in Bezug auf die Ketzergeschichte sehen wollen – und eröffnete damit dem Licht eine kulturelle Dimension, die es in der Gegenwart nicht einbüßen sollte.

Leider klärt Riedelsheimer weniger über das Licht auf, als dass er mit seinen Effekten spielt.

Illumination, Erleuchtung, ist ein anderes Wort für Erkenntnis. Der schrittweisen Reflexion steht der plötzliche Gedanken-Blitz gegenüber. Wenn es im Kopf aber nur noch gewittert, dann hat man den Verstand verloren. Der Mensch hat sich von Anfang an auch durch Lichtschutzmittel entwickelt, mit denen er das zuträgliche Maß an Licht dosierte. Sonst droht zuletzt ein Sonnenstich.

Licht ist grenzenlose Weite, die aber als solche nur produktiv zu machen ist, wenn man zugleich den Schatten sucht. Die richtige Temperatur, um etwas zu schaffen. Die dunkle Höhle zu suchen, um ruhig zu schlafen und den eigenen Raum zu begrenzen! Ein weites anthropologisches Feld. Leider klärt Riedelsheimer weniger über das Licht auf, als dass er mit seinen Effekten spielt. Das hat gewiss seinen optischen Reiz. Doch wenn man mehr und mehr das Gefühl bekommt, man solle hier bloß überrumpelt werden, von einer Licht-Show, die es darauf anlegt, den Zuschauer ratlos zurückzulassen, dann sucht man instinktiv nach dem Licht-Schalter.

Aber einen erbaulichen Part gibt es auch. Den hat Julie Brook übertragen bekommen, die als »Landart-Künstlerin« vorgestellt wird. Sie hat Kunst in Oxford studiert und ist hier offenbar für Meditation, Geheimnis und andächtige Stille zuständig. Sie lebt bevorzugt in abgeschiedenen Landschaften Schottlands, Libyens oder Namibias und sagt Sätze wie: »Rot überrascht uns. Wir wollen wieder und wieder hinschauen.« Aber mit der Willensfreiheit ist das so eine Sache: Manchmal schaut man einfach weg.

Sonnenauf- und -untergänge gibt es hier reichlich zu bewundern, aber niemand zitiert dabei Heine, der mir mit »Das Fräulein stand am Meere« dringend am Platze scheint. Das Fräulein, das gebannt am Meer steht, seufzt »lang und bange«, weil sie der Sonnenuntergang so rührt. Was wäre ihr zu antworten? »Mein Fräulein! sein Sie munter, / Das ist ein altes Stück; / Hier vorne geht sie unter / Und kehrt von hinten zurück.«

»Tracing Light –Die Magie des Lichts«, Deutschland, Großbritannien 2024. Regie und Buch: Thomas Riedelsheimer. 99 Min. Kinostart: 16. Januar.