75 Jahre alt werden die Studien zur »Autoritären Persönlichkeit« dieses Jahr. Von der Frankfurter Schule noch im amerikanischen Exil formuliert, sind sie kaum gealtert. Im Gegenteil scheint die sozialpsychologische Grundlegung des Faschismus von Adorno und seinen Mitstreiter*innen hochaktuell – während sie in der öffentlichen Wahrnehmung nahezu vergessen ist. Fragt man nach den Erfolgsrezepten faschistischer Bewegungen heute, tauchen stattdessen Erklärungsmuster auf, die jenen indirekt recht geben. Die Leute seien unzufrieden, warteten auf Lösungen, die AfD mache aber falsche Versprechungen oder richte im Gegenteil noch mehr Schaden an. Stets ist der Tenor: Die Gefühle der Menschen sind redlich, allein, sie werden in die falschen Bahnen gelenkt. Die »Autoritäre Persönlichkeit« widerspricht: Die Gefühle sind schon falsch, sind schon Teil des Problems.
In Kindheit und Jugend übernommene repressive und hierarchische Denkmuster und eine nicht gelungene Emanzipation von den Eltern führten demnach zu einer unvollständigen Identität und (vor allem emotionalen) Unselbstständigkeit, was wiederum zu einer Abhängigkeit von Hierarchien und Autoritäten führt. Die sogenannte »F-Skala« bewertete die Persönlichkeit anhand verschiedener Kriterien: Festhalten an Hergebrachtem wie auch der Wunsch, Verstöße gegen dieses Hergebrachte bestrafen zu wollen; Ablehnung des Subjektiven, Imaginativen und Schöngeistigen bei gleichzeitigem Hang zum Aberglauben und zum Klischeeesken; Identifikation mit Macht und Machthabern; Tendenz zu Destruktivität und Herabsetzung anderer Menschen; Projektivität, also das Bedürfnis, unbewusste emotionale Impulse nach außen zu projizieren, sowie übertriebenes Interesse an Sex und seiner Kontrolle bzw. Zensur.
All das begegnet uns heute wieder: Das rational nicht erklärbare Bedürfnisse, an überkommenen Bezeichnungen für Schaumsüßigkeiten und Schnitzel festzuhalten; der Hass auf freie Kunst, »unnütze« Wissenschaft und »linken Träumereien« bei gleichzeitiger Diskussion »alternativer Fakten« und blanker Geschichtsfälschung; die paradoxe Hoffnung, starke Männer, die endlich aufräumen, würden die »Freiheit« wiederherstellen; der triefende Hohn auf alles, was schwach oder anders ist; die Hoffnung, durch Bestrafung der »Faulen« könne man die eigene Prekarität abstreifen; schließlich die Fixierung auf Queerness und das Bedürfnis, den »Genderwahn« zu regulieren. Besonders der gleichzeitige Schrei nach »Freiheit« und starken Führern scheint ausgeprägt: Der Staat mit seinen Regularien wird als knechtend empfunden; gleichzeitig würden mächtige Männer, hätten sie nur die Möglichkeit, die Freiheit wiederherstellen – trotz gegenteiliger historischer Präzedenz.
Die Autor*innen der »Autoritären Persönlichkeit« machten sich keine Illusionen, solche Persönlichkeiten therapieren oder »zurückgewinnen« zu können. Es galt, ihren Einfluss zurückzudrängen und ihre Macht zu brechen – und zwar radikal. Darin sollten sie uns Vorbild sein.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188336.autoritarismus-freiheit-mit-starken-maennern.html