Revanche? »Nein«, sagt Juri Knorr und schüttelt kaum merklich den Kopf: »Es ist ja kein olympisches Finale.« Selbstverständlich sei der Auftakt in die Hauptrunde der Handball-Weltmeisterschaft[1] ein besonderes Spiel, da 15 000 Fans in Herning eine große Kulisse bilden und den dänischen Gastgeber gegen Deutschland nach vorne peitschen würden. Ein singendes Meer in Rot und Weiß erwartet das DHB-Team.
Für Knorr ist es dennoch eine besondere Partie. Da der Regisseur im Sommer von den Rhein Neckar-Löwen ins jütländische Aalborg wechseln wird, ist er auch in den dänischen Medien sehr gefragt. Aber der 24-jährige Rechtshänder[2] stellte klar, dass die Partie an diesem Dienstag nicht den Stellenwert jenes olympischen Endspiels von Lille habe, in dem die Dänen die Deutschen mit 39:26 Toren förmlich zerlegten. Sein Team habe vielmehr »noch eine Rechnung mit sich selbst offen«, bekannte Knorr. Zugleich betonte er jedoch, dass er die Hauptrunde bei der WM lediglich als Zwischenstation betrachte. »Ein Sieg gegen Dänemark würde uns einen Push geben. Aber wenn dann das Viertelfinale verloren geht, können wir uns davon auch nichts kaufen.«
Die K.-o.-Runde in Oslo hat das Team von Bundestrainer Alfreð Gíslason bereits fest im Visier, da es nach drei Vorrundensiegen wie Dänemark mit 4:0 Punkten in die Hauptrunde[3] startet. Denn niemand zweifelt daran, dass der DHB-Auswahl am Donnerstag ein Sieg gegen das Überraschungsteam Italiens gelingen wird – das würde selbst dann bei einer Niederlage gegen Dänemark für den Einzug ins Viertelfinale reichen.
Die erste deutsche WM-Medaille seit dem umjubelten Titel 2007 im eigenen Land rückt also näher. Und dennoch herrscht im deutschen Team, das sein Lager in Silkeborg aufgeschlagen hat, keineswegs Euphorie. Dazu waren die bisherigen Auftritte bei den Siegen gegen Polen, die Schweiz und am Sonntagabend beim 29:22 gegen Tschechien zu mittelmäßig.
Vor dem Turnier hatte Knorr erklärt, dies sei das beste Team, in dem er je gespielt habe. Er selbst erfüllt bisher die hohen Erwartungen, die das olympische Silber geschürt hatte. Gegen Tschechien spielte er eine überragende erste Halbzeit, in der er an über 90 Prozent aller deutschen Treffer direkt beteiligt war. Insbesondere die Fähigkeit, seine Kollegen auf den Halbpositionen in gute Wurfpositionen zu bringen, ohne die eigene Torgefahr zu verlieren, lobte der Bundestrainer. »Das ist ein anderer Juri als noch vor drei Jahren«, sagte Gíslason. »Er macht sehr viel für seine Mittelspieler.«
Der Team-Leader kommt mit den gestiegenen Erwartungen anscheinend bestens zurecht. Einige jüngere Spieler – in der Auswahl stehen mit Renārs Uščins, Justus Fischer, Nils Lichtlein und David Späth vier Juniorenweltmeister von 2023[4] – haben damit erkennbar Probleme. »Offenbar haben einige von uns ein paar Steine im Rucksack«, sagte nach der Vorrunde Marko Grgić, der ebenfalls erst 21-jährige Halblinke von der ThSV Eisenach.
Grgić gehört neben Uščins zu den Senkrechtstartern im deutschen Team. Er habe sich womöglich aufgrund seiner starken Bundesliga-Herbstserie in Eisenach zu sehr unter Druck gesetzt, meinte Grgić, der gegen Tschechien dann deutlich befreiter aufspielte. »Ich habe mir vorgenommen, mir keine große Platte mehr zu machen und einfach Handball zu spielen.« Ähnlich verhielt es sich mit Uščins, der gegen die Schweiz überdreht wirkte und Würfe aus ungünstigen Positionen genommen hatte. Uščins müsse sich nicht »80 Prozent unserer Würfe nehmen«, mahnte Kapitän Johannes Golla danach. Gegen Tschechien zeigte sich der 22-Jährige geläutert. »Wir haben nicht gemeint, das Spiel in den ersten Minuten entscheiden zu müssen«, sagte der Linkshänder, nachdem er überragende acht Tore aus zehn Versuchen beigetragen hatte.
Auch Uščins dürfte schon mit einem Auge auf das Viertelfinale blicken, das wichtigste Spiel der Deutschen. Dann dürfte das DHB-Team nach Lage der Dinge auf Spanien, Schweden oder Portugal treffen.