Ein Automobilhersteller versucht mich mittels Reklame für sein neues Modell zu ködern. Dieses, so heißt es in der Anzeige, biete »einfach mehr von allem: mehr Style, mehr Power, mehr Platz, mehr Reichweite«. Nun verhält es sich, ganz abgesehen davon, dass ich grundsätzlich weder ein Auto benötige noch eines besitzen möchte, so: Ich bin nicht an »mehr von allem« interessiert. Meiner Ansicht nach ist die Welt bereits deutlich zu voll und zu zugespammt. Ich wäre eher für »weniger von allem« zu haben: weniger androzentrische, sich donaldtrumpartig gebärdende Deppenwerbung, weniger peinliches Schneller-Weiter-Mehr-Geschrei, vor allem aber: weniger unansehnlicher Autoschrott vor meiner Haustür.
Bedenkt man, dass ein Großteil des gesamten öffentlichen Raums heute von Autos okkupiert wird und dass Autos die Umwelt verpesten, ununterbrochen enervierende Geräusche verursachen und ihre Benutzung im Straßenverkehr täglich zahllose Menschenleben fordert, dass also die Haupttätigkeiten des Autos Krachmachen, Stinken, Raumnehmen und das Verursachen von Leid sind, müsste man es als den Super-Manspreader unter den unbelebten Objekten bezeichnen. Sämtliche hierzulande geltenden Waffengesetze entpuppen sich außerdem als Farce, wenn man in Betracht zieht, dass heute jeder testosterongesteuerte Psychopath, jeder minderwertigkeitskomplexbeladene Superdulli und jeder normal besoffene Oktoberfestfreund jederzeit mit einer einzigen Fußbewegung sein Auto zum tödlichen Projektil und zum Mordinstrument umfunktionieren kann.
Allein die Werbestrategie des Unternehmens, dem potenziellen Automobilkäufer ausgerechnet »mehr Power, mehr Platz, mehr Reichweite« zu versprechen, macht überdeutlich, in welcher Sorte mittelalterlicher Arschgeigenideologie wir bis heute gefangen sind, derzufolge der Hauptzweck des Menschen darin besteht, solange die Umwelt mit sich vollzumachen, bis nichts mehr von ihr übrigbleibt. Angeteasert werden niederste Instinkte: Machtgeilheit, Ausbreitungstrieb, Expansionsdrang. »Mehr Penisfechterei, mehr Platzhirschgemacker, mehr gockelhaftes Gespreize« könnte da in der Werbeanzeige genauso gut stehen, aber man hat das Dicke-Eier-Getue halt, bevor man’s auf Plakate gedruckt hat, rechtzeitig in Automobilreklamedeutsch übersetzt.
Das letzte Auto, bei dem übrigens von »Stil« im Sinne von ästhetischer Relevanz (»Style«) überhaupt die Rede sein konnte, war die Modellreihe »Citroën DS«, deren Produktion meines Wissens im Frühjahr 1975 eingestellt wurde. (Daraufhin endete prompt der Vietnamkrieg, und kurz danach starb überraschend der spanische Diktator Francisco Franco, der das Land 36 Jahre lang regiert hat. Man stelle sich vor, welcher Segnungen die Welt noch hätte teilhaftig werden können, wenn damals die Fabrikation von Autos weltweit komplett eingestellt worden wäre! Und mit welchem Ausmaß an Zivilisierung wir heute bei einem sofortigen Stillstand der Autoproduktion rechnen dürfen!).
Seither werden überwiegend hässliche Autos hergestellt, die aber dennoch fanatisch gekauft und gefahren werden, weil man bisher weder Mittel noch Wege gefunden hat, um den Leuten ihre Geschmacklosigkeit und ihre Automobilobsession auszutreiben. In Berlin wird gegenwärtig sogar – ein paar Kleingärten, die zurzeit noch nicht zubetoniert worden sind, wirken wie ein Relikt aus einer untergegangenen menschenfreundlicheren Ära – eine neue Autobahn gebaut, »um den Automobilindustriestandort Deutschland zu stärken«. Was ungefähr so ist, als würde ich, um den Chemieindustriestandort Deutschland zu stärken, stündlich einen Hektoliter WC-Abflussreiniger in meine Toilette kippen.
Ich bin mir nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft der Besitz und das Navigieren motorisierter Fahrzeuge nicht idealerweise einigen wenigen Auserwählten vorbehalten sein sollte: jenen, die einem aus gewissenhaft von mir ausgesuchten Personen bestehenden Gremium unter meinem Vorsitz glaubhaft versichern können, dass sie kurzzeitig zwingend ein Auto benötigen. Zum Beispiel um einen hochschwangeren, schwerkranken oder verletzten Menschen umgehend an einen Ort befördern zu können, an welchem man sich um ihn kümmert. Oder um lebensrettende Medikamente oder Gerätschaften möglichst rasch dorthin zu bringen, wo sie benötigt werden. Oder um ein paar extrem seltene und wertvolle Bücher aus dem Barocksaal der Stiftsbibliothek St. Gallen möglichst sicher, unkompliziert und zügig in meine Privatbibliothek zu überführen. (Wobei ich dafür, um der Wichtig- und Dringlichkeit willen, besser ein Flugzeug auf den Weg bringe.)
Sicher ist jedenfalls: Alle anderen Autos müssen verschrottet werden.