Wie sich die USA verändert haben und wohin ihre Reise geht, wurde deutlich, als in Washington Montagmittag, Ostküstenzeit, Donald Trump das Wort ergriff, um nach seiner zweiten Vereidigung als 47. US-Präsident seine neue Amtszeit zu skizzieren. Welch Ironie! Genau in jenem Parlament, gegen das er vor vier Jahren seine Anhänger zum Sturm angestachelt hatte, empfing derselbe Mann nun die Amtsweihen.
Ein einziges Ziel hatte der unterlegene Präsident damals verfolgt: Seine gewaltbereiten Anhänger sollten an jenem 6. Januar 2021 das Kapitol stürmen, um die dort angesetzte Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden vom November 2020 zu vereiteln. Der Staatsstreichversuch kostete mehrere Menschen das Leben und die USA bis heute inneren Frieden. Nach Trumps Rechnung hätte der Putsch ihn in dem Amt halten sollen, das er von 2017 an erstmals bekleidet hatte. Nun, nach vier weiteren Jahren Pause und dem Sieg gegen die Demokratin Kamala Harris, wurde der Putschist von gestern der Präsident von heute. Er bezieht das Weiße Haus als erster verurteilter Straftäter in der fast 250-jährigen Geschichte des Landes.
Der Montag war sonnig, aber eisig. Der neue Präsident hatte deshalb das Event in die Rotunde, den prächtigen Kuppelsaal des Kapitols verlegen lassen. Das Protokoll der Übergabe ist von der Tradition bestimmt: Einem Gottesdienst folgte im Weißen Haus ein Tête-à-tête von Biden und Trump, des scheidenden und des neuen Präsidenten mit Gattinnen beim Tee. Bei der Vereidigung erteilten später Vertreter verschiedener Religionen ihren Segen. Sänger und Chöre intonierten mit selbstverständlichem Pathos US-Klassiker wie »America the Beautiful«, »The Battle Hymn of the Republic« und die Nationalhymne.
Die Bundesrepublik wurde offiziell durch Botschafter Andreas Michaelis[1] repräsentiert. Er hatte sich in einem durchgestochenen internen Papier höchst besorgt über Trumps neue Amtszeit und deren Folgen für die US-Demokratie geäußert. Trumps Agenda bedeute »maximale Machtkonzentration beim Präsidenten zulasten von Kongress und Bundesstaaten«, heißt es darin. Er verfolge einen Kurs »der maximalen Disruption«. Demokratische Grundprinzipien und das US-System der Gewaltenteilung (Checks and Balances) würden weitestgehend ausgehebelt, Legislative, Gesetzesvollzug und Medien ihrer Unabhängigkeit beraubt und politisch missbraucht. Große Tech-Unternehmen erhielten »Mitregierungsgewalt«. Ähnliche Sorge wie der Botschafter hatten weitere US-Diplomaten. Die »Washington Post« meldete »die vorsorgliche Eigenkündigung von Dutzenden Karrierediplomaten vor der Amtseinführung«.
Unter den ausländischen Gästen waren Rechtspopulisten in Überzahl. Überraschend blieb der eingeladene ungarische Premier Viktor Orbán fern. Aus Berlin stach die AfD-Gruppe mit dem Ko-Vorsitzenden Tino Chrupalla hervor. Noch regierende SPD und Grüne waren nicht geladen, die CDU durch ihren außenpolitischen Sprecher vertreten.
In seiner Antrittsrede bekräftigte Trump tags darauf sein »America first«-Credo, das er bei seiner Erstvereidigung 2017 aus der Taufe gehoben hatte. Damals versprach er, das »Amerikanische Blutbad« zu beenden, das die USA zu einem Land im Niedergang gemacht habe. Von Parteifreund George W. Bush ist der Kommentar überliefert: Welch »wirrer Scheiß!« Diesmal rief Trump aus: »Das goldene Zeitalter Amerikas beginnt genau jetzt.« Die erste von vielen stehenden Ovationen holte er sich mit der Behauptung, das Attentat im vorigen Juli habe er nur überlebt, weil Gott es so wollte.
Sein Comeback nannte er »den Tag der Befreiung«. Er kündigte eine Vielzahl von Erlassen[2], sogenannten Executive Orders noch für denselben Tag an, um »den gesunden Menschenverstand in Amerika wiederherzustellen«. Diese Dekrete brauchen keine Zustimmung des Parlaments. Die illegale Einwanderung müsse gestoppt werden. Deshalb rufe er »den nationalen Notstand an der Südgrenze« zu Mexiko aus und schicke »Truppen«, um »die katastrophale Invasion in unser Land zu beenden«. Zudem werde es Razzien in Großstädten geben, bei denen undokumentierte Einwanderer interniert und abgeschoben würden. Ebenfalls Vorrang genoss der Wiederaustritt aus dem Pariser Klimaabkommen[3], das Ende von Bidens klimafreundlicheren Wirtschaftsplänen und des Baus von Windrädern. Im Gegenzug sollen Öl- und Gas vermehrt gefördert werden.
Trump bekräftigte seine imperialistischen Fantasien, den Panamakanal für die USA zurückzuholen, den Golf von Mexiko in Golf von Amerika umzubenennen, das Gebiet der USA zu »erweitern« und darüber hinaus – mit Elon Musks Hilfe – »Amerikas Flagge auf den Mars zu bringen«. Standing ovations seiner Anhänger. Unübersehbar schmeichelte es Trumps Narzissten-Ego, so »mächtige und reiche« Menschen so zahlreich um sich zu haben. In der Tat wirkten Musk, Bezos und Mark Zuckerberg (Meta) wie Angehörige des Trump-Clans. Sie standen an der Seite von Trumps Kindern – und zum Greifen nah hinter Trump.
Das Wort »Ukraine« fiel in der 30-Minuten-Rede nicht. Doch beteuerte Trump, »Amerika wird alle Kriege beenden«. Seinen Auftritt, der mit »sendungsbewusst« unvertretbar schwach, mit »aggressiv« aber treffend beschrieben wäre, schloss er mit der Beteuerung, die USA stünden »an der Schwelle zu den vier größten Jahren ihrer Geschichte«. Das schien bei erkennbar vielen Gästen, gewiss vielerorts in den USA, aber wohl besonders intensiv in Europa die alte Frage aufzuwerfen, wie ernst Trumps Ankündigungen und Drohungen zu nehmen sind. Sein einstiger Chefstratege Steve Bannon, Nationalist par excellence und wieder nah am Chef, ließ Berlin via »Spiegel« wissen: »Europa wird kein Protektorat der Vereinigten Staaten mehr sein.« Zudem betonte er, man müsse Trump nicht immer wörtlich, aber ernst nehmen. Diesen Schluss legt auch die Vereidigung im Kapitol nahe. Über weite, sehr weite Strecken wähnte sich der Betrachter an diesem feierlichen Montag in Café Größenwahn. Das hat ab sofort durchgehend geöffnet.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188412.imperialismus-der-usa-willkommen-im-cafe-groessenwahn.html