Carolin Wiedemann hat einen Stapel eng beschriebener Zettel mitgebracht. Sie hat ein Wochenende damit verbracht, mehrere Wochenendzeitungen und digitale Tagesausgaben des »nd« zu studieren[1]. Die Autorin und Professorin für Journalismus an der Macromedia Universität in Hamburg ist zufrieden: »Themenauswahl und Aufmachung sind konsequent links und progressiv. Richtig schlechte Texte habe ich nicht gefunden.«
Die Wochenendausgaben seien sprachlich und inhaltlich spannend, so Wiedemann weiter, doch die Zeitung mache es den Leser*innen nicht leicht, neugierig zu bleiben. So wiesen viele Texte eine sehr ähnliche, theoretische Ebene auf. Sie plädiert daher dafür, die trockenen, schwierigen Texte durch lebendigere zu ergänzen. Auch im vorderen Teil der Zeitung[2] sollten mehr wie Porträts und Reportagen erscheinen. Der Politik- und Wirtschaftsteil könne dann auch gern umfassender sein.
Da es für sie an einzelnen Artikeln inhaltlich kaum etwas zu bemängeln gab, legte Wiedemann, die ihre Dissertation über »Kritische Kollektivität im Netz« geschrieben hat, den Schwerpunkt ihrer Blattanalyse im Folgenden vor allem auf die digitale Struktur des »nd«. Denn: »Gute Onlineauftritte werden über die Zukunft entscheiden, da die gedruckte Zeitung immer weniger nachgefragt wird«. Einige Zeitungen wie die »Taz« haben bereits angekündigt, noch 2025 die gedruckte Tagesausgabe ganz einzustellen. Das »nd« hat 2024 mit der Entwicklung einer App[3] sowie der Einstellung der Printausgabe am Montag erste Schritte in Richtung digitaler Zukunft gemacht. Wer das »nd« abonniert, hat heute die Wahl zwischen einem Print- und einem Digitalabo.
Wiedemann ist skeptisch, ob diese Struktur auf Dauer trägt, da sie immer noch der alten Tageszeitungsstruktur folgt: Die Zukunft[4] gehöre gut aufbereiteten Auftritten im Netz mit klarer redaktioneller Linie, aus deren Textangebot man sich bedienen könne. Konsequent links zu sein sei ein Alleinstellungsmerkmal des »nd«. »Es muss darum nicht weiterhin wie eine Tageszeitung alle möglichen Meldungen und Nachrichten bringen, sondern eine kuratierte Auswahl von Themen aus einer speziell linken Perspektive anbieten und Themen aufgreifen, die von anderen übersehen werden, zum Beispiel den Globalen Süden, die Verschärfung von Grenzregimen genau wie von Kämpfen dagegen.«
Wenn aber keine Abos abgeschlossen werden und nur die frei zugängliche Webseite genutzt wird, stellt sich die Frage, wie Redaktion und Verlag finanziert werden können. Wiedemann empfiehlt, das Digitalabo um ein »Pay-per-Text«-Modell zu ergänzen, wie es auch andere Zeitungen eingeführt haben. »Der Zugang zu ein paar Texten sollte grundsätzlich frei bleiben, das entspricht auch dem politischen Anspruch des ›nd‹. Aber nach einer bestimmten Anzahl gelesener Texte könnte er für einen gewissen Zeitraum blockiert oder eben durch einen kleinen Betrag wieder freigeschaltet werden.« Einzelne Texte könnten gegen noch geringere Beträge auch direkt gekauft werden.
Begeistert zeigte sie sich vom Instagram-Auftritt[5], in dem ausgewählte Texte mit prägnanten Zitat-Kacheln vorgestellt werden. »Die linke Mischung des ›nd‹ kommt zurzeit auf Instagram am besten zur Geltung.« Hier sei man besser als so manches große Medium. Das wird übrigens auch von den Leser*innen honoriert: Mit 30 000 Followern ist der Instagram-Auftritt einer der erfolgreicheren Digitalisierungsschritte des »nd«.