nd-aktuell.de / 27.01.2025 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 1

Atommüll: Sichere Zwischenlagerung nicht gewährleistet

Ein Gutachten der Initiative Ausgestrahlt warnt vor erheblichen Gefahren für Anwohner

Reimar Paul
Blick auf das stillgelegte Kernkraftwerk Brokdorf
Blick auf das stillgelegte Kernkraftwerk Brokdorf

Flugzeugabstürze, Terroranschläge mit panzerbrechenden Waffen, Drohnenangriffe: Die deutschen Atommüllzwischenlager sind gegen solche unwahrscheinlichen, aber möglichen Szenarien nicht oder nur ungenügend geschützt. Zu diesem Schluss kommt ein am Montag vorgestelltes Gutachten der Physikerin Oda Becker im Auftrag der Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt.

In Deutschland gibt es aktuell 16 Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente und andere hoch radioaktive Abfälle. Die Genehmigungen sind auf 40 Jahre befristet und enden zwischen 2034 und 2046.[1] Weil ein Endlager wohl frühestens um die Jahrhundertwende zur Verfügung steht, ist eine erhebliche Verlängerung der Zwischenlagerung erforderlich.

Die Abfälle befinden sich in Transport- und Lagerbehältern des Herstellers GNS. Der sichere Einschluss der radioaktiven Stoffe während der Lagerung soll durch ein Doppeldeckel-Dichtsystem mit verpressten Metalldichtungen gewährleistet werden. Die Zwischenlager-Gebäude selbst sind Hallen aus Stahlbeton mit einer Wandstärke zwischen 85 und 120 und einer Deckenstärke von 55 bis 130 Zentimetern.

Becker untersuchte Gefährdungsszenarien exemplarisch für die Zwischenlager in Ahaus und Brokdorf. Das Lager Brokdorf auf dem Gelände des abgeschalteten AKW ist seit 2007 in Betrieb, 60 von 84 Castor-Stellplätzen sind bislang belegt. In die Anlage könnten Becker zufolge beim Absturz eines Verkehrsflugzeugs durch Risse an Wänden und Dach große Mengen Kerosin eindringen. Ein dann zu erwartender mehrstündiger Brand mit einer Temperatur von rund 1000 Grad würde die Castor-Behälter einer deutlich höheren Belastung aussetzen, als diese laut internationaler Richtlinie (Feuer von 800 Grad für 30 Minuten) standhalten müssen. Becker nimmt an, dass dabei etwa Hälfte der Dichtungen der auf der Brandfläche befindlichen Behälter versagen würde. Wegen der massiven Freisetzung unter anderem des radioaktiven Isotops Cäsium-137 wäre eine sofortige Evakuierung der Umgebung bis in eine Entfernung von rund 500 Metern und eine langfristige Umsiedlung der Bevölkerung bis in eine Entfernung von zwei Kilometern erforderlich.

Beim Beschuss mit panzerbrechender Munition würde die Wand des getroffenen Behälters durchdrungen und im Inneren ein Teil der Brennelemente zerstäubt, so Becker. Ein Teil des freigesetzten radioaktiven Inventars würde sich in der Atmosphäre ausbreiten, die Partikel bei Menschen durch Inhalation zu einer erheblichen Strahlenbelastung führen. Eine Evakuierung wäre bis in eine Entfernung von rund vier Kilometern erforderlich, eine langfristige Umsiedlung der Menschen bis in eine Entfernung von fast zwei Kilometern.

Noch deutlich mehr Radioaktivität könnte Becker zufolge durch einen Angriff mit Drohnen freigesetzt werden, die mit Sprengstoffen und Brandbeschleuniger beladen sind. Die Wissenschaftlerin nimmt hier an, dass die Drohnen zunächst ein Loch in Mauer oder Decke sprengen und dann durch das Loch gezielt einen Behälter beschießen könnten. In Windrichtung wären eine Evakuierung in einer Entfernung von fast zwölf Kilometern und eine langfristige Umsiedlung der Bevölkerung bis in eine Entfernung von etwa sieben Kilometern erforderlich. Noch in acht Kilometern Entfernung zum Zwischenlager träten Dosen von etwas mehr als 500 Millisievert auf. Menschen, die sich dort aufhielten, hätten mit akuten Strahlenfolgen zu rechnen. Bis zu 800 Metern könne eine Dosis mit mehr als sieben Sievert tödlich sein.

»Der gefährliche Atommüll ist in den Zwischenlagern aktuell nur unzureichend geschützt«, konstatiert der Atommüllexperte von Ausgestrahlt, Helge Bauer. »Das setzt die Anwohner einem erhöhten Gesundheitsrisiko aus.« Viel zu lange hätten Behörden und Betreiber die Augen vor den Sicherheitsdefiziten der Lager verschlossen. Die hoch radioaktiven Abfälle müssten bis ins 22. Jahrhundert hinein zwischengelagert werden. [2]Dafür seien weder die heutigen Gebäude noch die Castor-Behälter selbst ausgelegt. Die Verantwortlichen müssten endlich ein Konzept für eine ausreichend sichere Langzeit-Zwischenlagerung vorlegen und zur Diskussion stellen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185800.gorleben-nord-sued-konflikt-um-atommuell.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1186909.atomkraft-castor-transport-hin-und-herverschieben-von-atommuell.html