Trotz scharfer Kritik: Friedrich Merz hält an seinen Migrationsanträgen fest. Am Freitag hatte der CDU-Kanzlerkandidat angekündigt, er werde als Antwort auf das Attentat von Aschaffenburg noch in dieser Woche Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik einbringen, und sorgte damit gleich zweifach für Aufruhr – zum einen wegen der Forderungen, zum anderen wegen seiner Aussage, alle Parteien, also auch die AfD, seien eingeladen, für seine Anträge zu stimmen[1].
Zuerst zu den Inhalten. Bisher liegen zwei Antragsentwürfe vor, die in den Bundestag eingebracht werden sollen. Der eine Antrag besteht aus Merz’ »Fünf-Punkte-Plan für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration«. Darin fordert die Union konkret:
Der zweite Antrag mit dem Titel »Für einen Politikwechsel bei der Inneren Sicherheit« enthält insgesamt 27 Punkte mit Sofortmaßnahmen »für eine wirksame Stärkung der Inneren Sicherheit und zur Beendigung der illegalen Einwanderung«. Hier einige wichtige Punkte:
Einige der CDU-Forderungen sind nicht mit Grundgesetz und EU-Recht vereinbar. Dauerhafte Grenzkontrollen verstoßen etwa gegen Artikel 5 der EU-Charta. Einreiseverbote für Menschen, die Asyl suchen, widersprechen dem individuellen Recht auf Asyl, das in Artikel 16a des Grundgesetzes verankert ist.
Beide Anträge sind sogenannte Entschließungsanträge. Es sind also keine konkreten Gesetzesänderungen, sondern lediglich Meinungsäußerungen des Bundestages. Diese wären für die Bundesregierung nicht rechtlich bindend, sollten sie tatsächlich durchs Parlament kommen. Am Montag kündigte Merz an, noch einen Gesetzesentwurf einzubringen. Was in diesem stehen soll, konnte er noch nicht verraten. Ohnehin: Um noch ein Gesetz durchs Parlament zu bringen, reicht die Zeit nicht mehr.
»Der ›5-Punkte-Plan‹ von Friedrich Merz und der Union ist nichts weiter als Wahlkampfmanöver und Symbolpolitik«, kritisierte die Linke-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger am Montag. In der Praxis sei er nicht umsetzbar und gefährlich. Amnesty International nennt die Forderung nach Zurückweisung von Schutzsuchenden einen »offenen Angriff auf das Grundrecht auf Asyl in Deutschland und eine Absage an die europäische Idee eines gemeinsamen Raums der Freiheit und des Rechts«.
Für noch mehr Aufruhr als die Inhalte sorgen Merz’ Taktierereien rund um die Anträge. Am Wochenende sagte der CDU-Chef, er werde auch Stimmen der AfD akzeptieren: »Wenn die AfD zustimmt, dann stimmt sie zu. Wenn sie nicht zustimmt, soll sie es bleiben lassen. Es gibt keine Gespräche, es gibt keine Verhandlungen, es gibt keine gemeinsame Regierung.« Von SPD, Grünen und Linke kam daraufhin heftige Kritik, denn diese Ankündigung stellt einen Bruch der sogenannten Brandmauer dar.
Am Montag versuchte Merz dann in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, sich von der AfD zu distanzieren. Die Union werde sich weder von der SPD noch von den Grünen, »ganz sicher auch nicht von der AfD, sagen lassen, welche Anträge, welche Gesetzentwürfe wir im Deutschen Bundestag zur Abstimmung stellen«, so Merz. »Das, was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch dadurch, dass die Falschen zustimmen.«
»Es ist nichts weiter als Wahlkampfmanöver und Symbolpolitik.«
Clara Bünger Die Linke
Gleichzeitig erhöhte Merz den Druck auf SPD und CDU: »Ich suche keine anderen Mehrheiten, sondern ich möchte, dass SPD, Grüne und FDP zur Vernunft kommen und Maßnahmen ergreifen, um die Folgen der viel zu hohen Migration einzudämmen.« Bei den Abstimmungen liege es an der SPD, an den Grünen und an der FDP, zu verhindern, dass es Mehrheiten gibt, »die keiner von uns will«.
Dass die CDU die Bundestagswahl gewinnt und den Kanzler stellt, ist eigentlich so gut wie sicher. Warum wagt Merz also so kurz vor den Wahlen noch mal einen solch riskanten Schritt?
Natürlich könnte die CDU mit den migrationspolitischen Forderungen Stimmen von rechts gewinnen. Genauso könnte er aber Wählerstimmen aus dem liberalen CDU-Milieu verlieren. Vor allem aber dürfte es Merz darum gehen, Grüne und SPD unter Druck zu setzen. Denn so zwingt er nicht nur beide Parteien, sich zu seinen Forderungen zu positionieren. Stimmen sie nicht dafür, kann er ihnen Untätigkeit vorwerfen – obwohl seine Anträge auch nur eine Meinungsäußerung sind. Noch dazu hält Merz jetzt ein Damoklesschwert über die Mitte-Parteien, nach dem Motto: Wenn ihr bei meinen Forderungen nicht mitmacht, habe ich gar keine andere Wahl, als mir die Stimmen für das, »was in der Sache richtig ist«, woanders zu suchen.
Bei Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck kam die Message zumindest genau so an; er fühlt sich von den Merz-Ankündigungen erpresst. »Einigungsfähigkeit heißt aber nicht Kompromisslosigkeit, heißt nicht: ›Friss oder stirb‹, heißt nicht: Entweder stimmt mir zu oder ich stimme mit Rechtsradikalen. Das ist nicht Mitte, das ist Ideologie,« sagte er am Sonntag. Olaf Scholz sagte, er könne die Frage nicht mehr beantworten, ob Merz nach der Bundestagswahl keine Zusammenarbeit mit der AfD will.