nd-aktuell.de / 28.01.2025 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 1

Beben in der KI-Konzern-Welt

Chinesische App sorgt für Kursabstürze von US-Konzernen

Kurt Stenger
Das Logo der chinesischen App
Das Logo der chinesischen App

Es war vom Volumen her der bislang größte Tagesverlust eines Unternehmens an den US-Börsen: Der Aktienkurs des Chipherstellers Nvidia brach am Montag um rund 16 Prozent ein, was einem Verlust von 589 Milliarden US-Dollar entsprach. Auch andere High-Tech-Werte rund um Künstliche Intelligenz (KI)[1] erlebten massive Rückgänge, darunter Chipfirmen, Betreiber von Rechenzentren und deren Energieversorger. Summa summarum ging eine Billion Dollar an virtuellem Geld den Wall-Street-Bach runter.

An den Finanzmärkten wird derzeit darüber spekuliert, ob sich in Sachen KI-Entwicklung womöglich eine Verschiebung abzeichnet. War man sich bisher einig, dass US-Konzerne die weitere Entwicklung der zukunftsträchtigen Technologie dominieren werden, ist nun ein Konkurrent aus China dazugekommen: Deepseek R1 wird derzeit millionenfach heruntergeladen und stürmt die Appcharts. Es handelt sich um ein sogenanntes großes Sprachmodell, das neben anderen Aufgaben auch Text erkennen und generieren kann.

Das neue KI-Tool schickt deshalb Schockwellen durch die Anlegerwelt, da es laut Angaben von Deepseek mit Kosten von weniger als sechs Millionen Dollar und auf wenigen abgespeckten Nvidia-Chipsystemen angelernt wurde. Ob das so stimmt, wird indes auch angezweifelt. Womöglich wurden Ausfuhrbeschränkungen bei Chips in den USA umgangen, was Deepseek verheimlichen müsste, heißt es. Gleichwohl sind Tech-Experten durchaus beeindruckt von der jungen Konkurrenz aus China. Zum Vergleich: Meta-Chef Mark Zuckerberg hat angekündigt, 60 Milliarden Dollar allein in diesem Jahr in den Bereich stecken zu wollen. [2]

In der Szene macht schon das Wort vom »Sputnik-Moment« im KI-Bereich die Runde. »Das könnte eine geringere Nachfrage nach Chips, einen geringeren Bedarf an massivem Ausbau der Stromerzeugung zur Versorgung der Modelle und einen geringeren Bedarf an großen Rechenzentren bedeuten«, erläuterte Analyst Brian Jacobsen. Mit anderen Worten steht hinter dem Börsenbeben die Frage: Ist ein Start-up mit kleinem technischen Aufwand und ganz geringen Kosten in der Lage, die Welt der Tech-Konzerngiganten aufzumischen?

Somit stellt die aktuelle Börsenentwicklung auch die KI-Pläne von Donald Trump in Frage. Waren die USA schon bisher mit großem Abstand Weltmeister bei Investitionen in diesen Bereich, hat der neue Präsident gerade ein 500-Milliarden-Dollar-Programm für den Ausbau der KI-Infrastruktur angekündigt. Die geplante Kooperation mit den Konzernen Oracle, OpenAI/Microsoft, der japanischen Softbank und einem Fonds aus den Vereinigten Arabischen Emiraten soll die Dominanz der USA auf dem Gebiet weiter vorantreiben. Dies hat sogar Präsidentenberater Elon Musk verärgert, der selbst in dem Bereich aktiv ist und sich ausgebootet fühlt. [3]Trump, den der Billigkonkurrent aus Fernost jetzt in Erklärungsnöte bringt, sprach von einem »Weckruf für US-Unternehmen«. Es sei aber positiv, wenn KI künftig günstiger zu haben sei.

Gleichzeitig zeigt das Beispiel Nvidia, welche Dimensionen der rund zwei Jahre anhaltende KI-Hype angenommen hat. Der Absturzprimus war zeitweise das wertvollste Unternehmen an den Börsen der Welt, mit einer Marktkapitalisierung von mehreren Billionen Dollar. Dabei entwickelt die Silicon-Valley-Firma mit Sitz im kalifornischen Santa Clara nicht einmal selbst KI-Systeme, sondern steuert lediglich sogenannte Beschleuniger-Karten bei. Diese berechnen und trainieren die KI-Modelle der meisten Unternehmen.

Und so könnten die Ereignisse vom Montag vor allem das Ende der maßlosen Übertreibungen einläuten. Auf deregulierten Märkten geschieht die Kurskorrektur bisweilen schockartig.

Manche Tech-Experten sehen aber auch Übertreibungen in die andere Richtung und sprechen von übertriebener Panik. Die Frage sei nicht, ob Deepseek heutige Marktführer in den USA überholen könne, betonte etwa X. Eyeé von der KI-Beratungsfirma Malo Santo im US-Sender CNBC. Es gehe viel mehr darum, wie schnell man die Forschungsansätze der Chinesen umsetzen könne. »Wenn Deepseek das mit alter Hardware entwickeln kann, was können wir dann mit neuerer Hardware schaffen?«

Tatsächlich blieben die eigentlichen KI-Größen wie Meta und Microsoft vom Börsenabsturz entweder verschont oder erholten sich schnell wieder. Microsoft-Chef Satya Nadella bezeichnete das neue Open-Source-Modell von Deepseek bereits auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos als »unglaublich beeindruckend«, denn es sei »super recheneffizient«. Und ergänzte: »Wir sollten die Entwicklungen in China sehr, sehr ernst nehmen.«

Daher dürfte Deepseek auch Ansporn für die Branche sein, KI weiterzuentwickeln. Im Kapitalismus bedeuten weniger Aufwand, geringere Kosten und größere Effizienz vor allem Produktivitätssteigerungen, die letztlich zu höheren Profiten führen. Die Frage ist nur, wer dabei die Nase vorne haben wird.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187894.kuenstliche-intelligenz-mit-dem-ki-trainer-zur-topform.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179740.mark-zuckerberg-jahre-im-face.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187801.us-praesidentschaft-trump-und-musk-was-kostet-die-welt.html?sstr=Musk