Am heutigen Donnerstag jährte sich zum elften Mal der brutale Einsatz der spanischen Guardia Civil am 6. Februar 2014 an der Grenze zwischen Marokko und der spanischen Exklave Ceuta. Am dort gelegenen Strand El Tarajal hatten rund 400 Geflüchtete versucht[1], schwimmend um den meterhohen Grenzzaun auf einen Wellenbrecher zu gelangen. Spaniens Gendarmerie drängte die Menschen im Wasser mit Schlagstock und Aufstandsbekämpfungsmitteln zurück. Über ein Dutzend Tote und viele Verletzte waren die Folge.
Mit dem in Berlin ansässigen Verfassungs- und Menschenrechtszentrum ECCHR und dem katalanischen Menschenrechtszentrum Irídia hat ein Überlebender des Massakers nun Beschwerde beim UN-Ausschuss gegen Folter eingereicht. Brice O. – seine genaue Identität teilen die Organisationen zu seinem Schutz nicht mit – kritisiert Spaniens Versäumnis, den Einsatz angemessen zu untersuchen. Die Guardia Civil hatte laut dem ECCHR[2] in 21 Minuten 145 Gummigeschosse, 355 Knallpatronen und fünf Tränengaskartuschen eingesetzt.
Nachdem zunächst ein Strafprozess gegen 16 Beamte der Guardia Civil eingeleitet wurde, habe das zuständige Gericht in Ceuta das Verfahren gleich dreimal eingestellt, berichtete das ECCHR am Donnerstag. Im Juli 2020 habe das höchste Gericht der Provinz Cádiz diese Entscheidung bestätigt. Auch das Oberste Gericht Spaniens habe den Fall schließlich zu den Akten gelegt. Daraufhin reichten Nichtregierungsorganisationen und Angehörige von Verstorbenen Beschwerden beim spanischen Verfassungsgericht ein, über die bislang aber nicht entschieden wurde.
»Die Untersuchung von Tarajal war eine Farce«, sagt Hanaa Hakiki, Leiterin des Teams für Grenzgerechtigkeit beim ECCHR. Die anhaltende Straflosigkeit habe zu noch tödlicheren Grenzeinsätzen geführt. Seit Jahrzehnten sei die spanisch-marokkanische Grenze »ein Ort von Menschenrechtsverletzungen und Straflosigkeit, von denen schwarze Menschen am gewaltsamsten und schwersten betroffen sind«.
Menschen schwarzer Hautfarbe werden von marokkanischen Behörden an der Grenze von Ceuta und Melilla regelmäßig ohne Prüfung eines Asylanspruchs zurückgewiesen. Mitunter erfolgen diese Pushbacks durch Tore[3] im meterhohen Grenzzaun. Dutzende Menschen kamen bereits ums Leben, nachdem sie versucht hatten, die aus mehreren Reihen bestehenden und mit Klingendraht gesicherten Sperranlagen[4] zu überklettern. Viele weitere gelten als verschwunden oder wurden verhaftet.
Mit der neuen Beschwerde von Brice O. wollen die Nichtregierungsorganisationen den Druck auf die spanischen Behörden, das Massaker von El Tarajal vollständig aufzuklären, erhöhen. Bereits im vergangenen Jahr hatte mit Ludovic N. ein weiterer Überlebender mit Unterstützung des ECCHR eine ähnliche Beschwerde[5] beim UN-Anti-Folter-Ausschuss eingereicht. Eine Antwort steht bis heute aus, erklärt eine Sprecherin des ECCHR auf Nachfrage von »nd«.
Am 24. Juni 2022 ereignete sich an der Grenze zur spanischen Enklave Melilla ein ähnlich tödlicher Vorfall. Etwa 2000 Menschen, vorwiegend aus dem Sudan und Südsudan, versuchten von der marokkanischen Stadt Nador aus die Grenze zu überqueren. Marokkanische und spanische Grenzbeamte gingen mit massiver Gewalt dagegen vor. Die Abgefangenen, einige von ihnen bereits tot oder schwer verletzt, wurden übereinandergestapelt und stundenlang am Boden liegen gelassen. Die marokkanischen Behörden registrierten 23 Todesfälle, Menschenrechtsgruppen gehen bei dem als »Melilla-Massaker« bezeichneten Einsatz von mindestens 27 Toten und mehr als 70 Vermissten aus.