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20. Februar 2025: Ein Anruf von meinem Freund Deeb. Er sagt, seine Mutter Rola und sein verletzter Sohn Qais hätten Gaza jetzt verlassen und seien in der Nähe von Rafah in Al-Aerish.
»Rola? Und du nicht?«
Seine Stimme klingt gefasst, er schluckt. Klingt, als verschlucke er sich. Andere Familien litten noch viel mehr unter diesen Trennungen, sagt Deeb. Spricht von einer Mutter mit krankem älteren Kind und einem Neugeborenen. Sie dachte, sie dürfe mit dem Säugling über die Grenze, aber man erlaubte nur die Ausreise des älteren Kindes und einer Begleitperson. Deeb räuspert sich und fragt dann, wo ich inzwischen sei. Ich stecke immer noch am Grenzübergang Israel – Ägypten bzw. Eilat – Taba fest.
Immer fehlt irgendein Stempel. Immer denke ich, ich bin auf der ägyptischen Seite und gehe doch wieder an israelischen Wasserspendern vorbei, durch ein winziges Duty-Free-Lädchen. Ein überdachter Gehsteig, eine kleine Halle, ein Schalter, den ich links liegen lasse. Ein freundliches israelisches Mädchen ist die finale Grenzbeamtin. Tut ihr leid, dass ich zurückmuss, um irgendeine Gebühr zu zahlen.
»Welcome to Egypt« heißt es auf der anderen Seite. Das Lächeln der Grenzbeamten scheint wie eine Eintrittskarte. Dann Hängenbleiben beim Security-Check. Habe zu viel Technikkram mit für eine Touristin. Kameras seien nur erlaubt mit Zoom bis 500 Meter, meiner reicht 600 Meter weit.
»I’m sorry, it’s the system!«, so die Beamten, die nicht die Bösen sein wollen. Man behält ein: die Kamera, das Mikrofon, alle vier SD-Karten und den Adapter des Macbooks. Mitnehmen darf ich die Powerbank, mein Macbook, mein Telefon und das Übersetzungsgerät, das eh nicht funktioniert. Sie wollen wissen, was ich von Beruf bin. Ich sage: »Author.« Aber das Gerät sagt nicht, was meine Arbeit ist, sondern rattert herunter, was ich gestern vor dem israelischen Fernseher aufgenommen habe. Es dürfte sich um eine Rede des ultraorthodoxen Politikers Itamar Ben Gvir handeln, der wie US-Präsident Donald Trump der Meinung ist, alle Leute in Gaza sollen nach Ägypten umgesiedelt werden.
»Das ist nicht meine Meinung!«, sage ich hastig, aber es hat eh keiner verstanden. Der Google-Translator aus dem Handy des Grenzbeamten tut’s aber auch nicht: Schreie in sein Telefon, dass ich für eine Zeitung schreibe, »neues deutschland!«, und das Telefon schmettert höflich zurück: »Noisy Deutschland!« Andere Beamte kommen, man wartet auf einen, der mir die Technik quittiert, aber der ist gerade bei »Allah«, sagt der Beamte. »You know?«
»Kennst du Gott?«, fragt Google. Und aus dem Lautsprecher tönt der Gebetsruf.
»Sinai only«, schreibt der Mann über den Stempel in schönem Tintenblau.
»Ich darf jetzt überall hin auf der ganzen Sinai-Halbinsel?«
»Yes, but Sinai only!«
»Ja, nur Sinai, aber überall auf Sinai, ja …?«
Er nickt. Auf seinem Schreibtisch liegt irgendein amtlicher Schein, auf den er das Gesicht einer Frau gekritzelt hat. Weil mir das arabische Wort für »schön« einfällt, sage ich: »Schön!« und zeige auf seine Zeichnung. Er nimmt das Papier und schenkt es mir. Sein Vorgesetzter protestiert, aber er ignoriert ihn. Habe das Gefühl, die Karte mit der schönen Frau ist der eigentliche Passierschein.
Ganz Sinai! Das heißt also auch Rafah? Al-Aerish? Das hab ich dann doch lieber nicht gefragt.
Ich frage es den Taxifahrer. Said stand so aufrecht am Grenztorbogen. Kein »Welcome-to-Egypt-Smile«, keiner, der einen bedrängt und »Good Price« verspricht. Rotes Pali-Tuch, langes Gewand, Fellweste, ein gutes altes Gesicht. Er sagt, er wolle ehrlich sein: Er glaube nicht, dass wir bis Al-Aerish kommen. Erstens, weil dort alles voller Militär sei. Und zweitens: Ich hätte nur ein Visum für den Süden der Sinai-Halbinsel und nicht für den Norden.
»Ich habe ›Sinai only‹!«
»Nein, only Sinai south.«
Der Sinai-Part, wo die Touristen hinwollen.
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Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188922.israel-und-palaestina-tagebuch-aus-israel-sinai-only.html