»Die Öffentlichkeit muss dem britischen Einwanderungssystem vertrauen können«, schrieb das britische Innenministerium am Montag auf der Plattform X. Der Post enthält ein kurzes Video: Mehrere Männer, manche in Handschellen, besteigen ein Flugzeug, begleitet von Grenzbeamten in gelben Warnwesten. Dann hebt das Flugzeug ab. »Wir haben seit Juli 2024 fast 19 000 Menschen abgeschoben, darunter gescheiterte Asylbewerber, ausländische Verbrecher und solche, die gegen die Einwanderungsgesetze verstoßen haben«, steht dazu. In anderen Videos auf X zeigt das Innenministerium Razzien in Nagelstudios und Autowäschereien, in denen offenbar Migranten illegal beschäftigt wurden.
Am selben Tag, als die Regierung diese plakative Medienaktion aufzog, debattierte das Unterhaus die neue Grenzschutz-Vorlage von Innenministerin Yvette Cooper. Sie wird den Strafverfolgungsbehörden mehr Befugnisse geben, um Schmugglerbanden das Handwerk zu legen. Jemanden mit Geräten zu versorgen, die für die Schleuser-Kriminalität genutzt werden, etwa Mobiltelefone oder Gummiboote, wird künftig mit Gefängnis bestraft werden. Auch die Gefährdung des Lebens beim Grenzübertritt soll künftig einen Straftatbestand darstellen. Die Vorlage »wird den Grenzschutz verbessern« und es den Behörden erleichtern, »gefährliche Verbrecherbanden strafrechtlich zu verfolgen«, sagte Cooper im Unterhaus.
Das Innenministerium prahlt zudem, wie emsig seine Beamten bei der Arbeit sind. »Allein im Januar hat der Grenzschutz Razzien in 828 Arbeitsplätzen veranstaltet«, heißt es in einer Pressemitteilung. Das ist ein Anstieg von 48 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr. Auch die Verhaftungen wegen Verstößen gegen die Einwanderungsgesetze sind laut Regierungszahlen dramatisch angestiegen. Der Januar sei ein »Rekordmonat« gewesen, schreibt das Innenministerium.
Keir Starmers Labour-Partei hat eine schärfere Kontrolle der Einwanderung schon lange als eine ihrer Prioritäten ausgemacht. Aber dass die Regierung gerade jetzt mit einer so grellen und öffentlichkeitswirksamen Kampagne das Thema Migration in den Vordergrund stellt, hat einen offensichtlichen Grund: Die Rechtsaußenpartei Reform UK sitzt ihr im Nacken.
Die Partei von Nigel Farage hat derzeit enormen Zulauf. In den vergangenen Monaten hat sie Tausende Neumitglieder rekrutiert, laut eigenen Angaben umfasst sie 200 000 Parteigänger – deutlich mehr als die Tories. In Umfragen hat sie zu den zwei großen Parteien aufgeschlossen, zuweilen sogar überholt: Anfang Februar ergab eine Erhebung des Instituts Yougov, dass 25 Prozent der Briten Reform UK wählen würden, mehr als Labour (24 Prozent) und die Tories (21 Prozent).
Der Aufstieg der Rechtspartei sorgt für viel Wirbel in der britischen Politik – und sowohl Labour als auch die Tories sind in Panik. Im Gegensatz zu früheren Kleinparteien, die den Politikbetrieb in Westminster kurzzeitig aufgemischt haben, dürfte Reform UK[1] dauerhafter sein. »Dieser Farage-Boom ist keine Blase«, schrieb der Politologe Rob Ford von der Universität Manchester kürzlich.
Entsprechend zieht Labour alle Register, um ihren Vormarsch zu stoppen. Die Regierung hat eine schärfere Einwanderungspolitik als bestes Mittel zu diesem Ziel ausgemacht. Druck kommt auch von Teilen der Fraktion: Vergangene Woche bildeten mehrere Dutzend Labour-Abgeordnete eine informelle Gruppe, um die Parteiführung zu einem entschlosseneren Durchgreifen bei Migration und Kriminalität zu drängen.
Allerdings bezweifeln Experten, dass die Vorlage des Innenministeriums einen wirklichen Unterschied machen wird. Das Gesetz werde bloß zur Folge haben, dass »die Situation der Asylbewerber noch prekärer wird«, schreibt Daniel Sohege von der Menschenrechtsorganisation Stand For All. Es sei unwahrscheinlich, dass die neuen Befugnisse den Behörden dabei helfen werden, die Schmugglerbanden zu zerschlagen. Nathan Phillips von der Asylstiftung Asylum Matters stimmt zu: »Der einzige Weg, das Geschäftsmodell der Menschenhändler zu zerstören, besteht darin, sichere und reguläre Migrationsrouten zu eröffnen, sodass die irreguläre Migration nicht mehr nötig ist.«
Auch verweisen Kritiker darauf, dass der erhoffte politische Effekt ausbleiben dürfte: Anstatt dass ein schärferer Grenzschutz der radikalen Rechten das Wasser abgraben wird, könnte das genaue Gegenteil eintreten, nämlich dass Labour damit die Farage-Partei legitimiert. Die Parteiführung fühle sich gezwungen, »das Narrativ von Reform UK zu kopieren«, sagte Diane Abbott, Veteranin vom linken Labour-Flügel, am Montag. Aber damit laufe die Regierung Gefahr, »für die radikale Rechte Werbung zu machen« – am Ende würden die Wähler nicht für die Kopie stimmen, sondern für das Original.