Ein ganzes Potpourri an Studien zu diversen staatlichen Teilbereichen hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW-Berlin) am Donnerstag auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Die übereinstimmende Botschaft: Der Staat muss in der nächsten Legislaturperiode viel Geld in die Hand nehmen. »Öffentliche Investitionen sind langfristig der beste Weg, die Staatsverschuldung zu reduzieren«, so die Ökonomen.
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt die Bundesrepublik bei der öffentlichen Investitionsquote im untersten Viertel aller OECD-Staaten. Die vielfach beklagte Folge: »Deutschland lebt seit Jahrzehnten von der Substanz«, schreibt das DIW in einer ganz frischen Untersuchung. »Einstürzende Brücken, marode Schulen, langsame Bürokratie und fehlende Digitalisierung sind die offensichtlichen Symptome mangelnder Investitionen in die staatliche Infrastruktur.« Dass es Nachholbedarf gibt, wird von niemandem angezweifelt. Politisch umstritten ist nur, wie es um die Finanzierungsmöglichkeiten bestellt ist. Und da gibt das DIW Entwarnung: Das Paket wäre »nahezu finanzierungsneutral«. Angestoßen durch die öffentlichen Investitionen läge die Wirtschaftsleistung in dem Zeitraum um durchschnittlich 1,5 Prozent höher, was zu höheren Steuereinnahmen führen würde.
In dem Szenario wird angenommen, dass die öffentlichen Investitionen in den nächsten vier Jahren um insgesamt 100 Milliarden Euro steigen. Dies entspräche einer um 0,6 Prozentpunkte höheren Investitionsquote und somit einem Anstieg wie in den vergangenen vier Jahren. Der Bedarf, räumen die Ökonomen auf Nachfrage ein, dürfte indes deutlich höher sein. Zwei andere Institute hatten ihn auf 600 Milliarden Euro staatliche Extra-Investitionen über zehn Jahre beziffert.
Der wirtschftliche Multiplikatoreffekt von Investitionen ist auch erheblich größer, als dies bei Steuergeschenken der Fall wäre, wie sie von AfD, FDP und auch der CDU in deren Wahlprogrammen vorgeschlagen werden. Diese würden insbesondere Gut- und Spitzenverdienern zugutekommen, weshalb die Wachstumseffekte laut DIW sehr gering wären.
Die Berliner Ökonomen weisen zudem darauf hin, dass es nicht nur um die Menge an Investitionen geht, sondern auch darum, wohin das Geld letztlich fließt. Die Multiplikatoreffekte unterscheiden sich nämlich deutlich. Besonders hoch wären sie bei Investitionen im Bildungsbereich, wo je 100 Euro staatliche Investitionen um 200 bis 300 Euro höhere Einnahmen zu erwarten wären. Und in schwächeren Phasen wie der anhaltenden Stagnation der deutschen Volkswirtschaft sei der Effekt generell höher, erläutert Geraldine Dany-Knedlik, Leiterin des Konjunkturteams am DIW-Berlin.
Institutspräsident Michael Fratzscher empfiehlt der künftigen Bundesregierung mit Verweis auf den Multiplikatoreffekt, auf die »Investitionsoffensive« nicht zu warten, bis die Schuldenbremse reformiert wird. [1]Dies würde zu lange dauern, und die Änderungen fielen möglicherweise zu schwach aus. Hierfür schlägt das DIW eine »nominale Ausgabenregel« vor, wie Fratzscher sagt: Demnach dürfte der Staat jedes Jahr die Ausgaben um maximal die nominale Potenzialwachstumsrate der Volkswirtschaft steigern. Zurzeit versucht der Staat hingegen, an vielen Stellen Ausgaben zu kürzen, um die Schuldenbremse einhalten zu können.
Es gibt noch weiteren großen Reformbedarf, etwa mit Blick auf das Sozialsystem. Bei der zunehmend unter finanziellen Druck geratenden Pflegeversicherung schlägt das DIW einen sozialen Ausgleich über eine Bürgerversicherung vor. Im Rentensystem regen die Ökonomen eine leichte Abkehr vom Prinzip der Beitragsäquivalenz an, laut der die Rentenleistungen in einem proportionalen Verhältnis zu den eingezahlten Beiträgen stehen. Dies führe zu einer sozialen Schieflage: Gutverdiener erhielten nicht nur eine höhere Rente, sondern bezögen diese wegen ihrer höheren Lebenserwartung auch länger. Dies führt laut DIW zu einer »Umverteilung im Rentensystem von Versicherten mit niedrigem Einkommen zu Versicherten mit hohem Einkommen«. Die Ökonomen machen sich daher für eine Aufwertung niedriger Rentenansprüche zur Bekämpfung von Altersarmut stark. Und unterstützen die Forderung nach einer progressiven Rentenformel, die für Personen mit höheren Renten eine gewisse Kürzung zulassen würde.
Angesichts der demografischen Entwicklung braucht es laut DIW nicht nur Änderungen im Rentenbereich: In den nächsten Jahren werden fünf Millionen der derzeit 46,1 Millionen Beschäftigten in den Ruhestand gehen, rechnet Fratzscher vor. Das sinkende Arbeitsvolumen bei Fachkräften, aber auch bei einfachen Tätigkeiten werde das wirtschaftliche Wachstumspotenzial dämpfen. Die klare Botschaft seines Instituts: »Wir müssen uns öffnen, brauchen mehr Zuwanderung.« Ein Satz, der in diesen Tagen wichtiger denn je ist.