In der ukrainischen Führung ist man in Hab-Acht-Stellung. Trump, das geht aus den russischen und amerikanischen Darstellungen des ausführlichen Telefonats beider Präsidenten[1] hervor, will einen Waffenstillstand – so schnell wie möglich. Und er will Amerika aus dem Ukraine-Krieg herausholen. »Die Ukraine unterstützen so lange und so viel wie nötig« ist unter Donald Trump genauso Geschichte geworden wie die Forderung der Ukraine »Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine« oder »Verhandlungen mit Russland nur mit ukrainischer Zustimmung«.
Wie mag Trump reagiert haben auf Putins Einladung nach Moskau und dessen Forderung, man müsse an die eigentlichen Ursachen des »Konfliktes« ran? Die Video-Bloggerin Olesja Medwedjewa vermutet, dass Putin eine Einladung nach Moskau nur ausspreche, wenn er sich sicher sei, dass sie auch angenommen werde. Dass Putin mit seiner Forderung, bei den Kriegsursachen anzusetzen, das ukrainische Begehren nach einer Nato-Mitgliedschaft und das Zurückdrängen der russischen Sprache gemeint hat, sei eindeutig.
In einer ersten Reaktion nach Bekanntwerden des Trump-Putin-Telefonats wirft Andrij Jermak, Chef der ukrainischen Präsidialverwaltung, nochmals die ukrainische Position in die Waagschale. Der ukrainische Präsident bleibe bei seinen Positionen, so Jermak. Selenskyj wolle einen »gerechten Frieden«, die ukrainische Unabhängigkeit, ihre territoriale Integrität und Souveränität seien für ihn nicht verhandelbar.
Maxim Borodin, Stadtrats-Abgeordneter in Mariupol, wundert sich nicht wirklich. Mit Trump sei es so gekommen, wie man erwartet habe, schreibt Borodin auf seiner Facebook-Seite. »Zwei alte, kranke Diktatoren können sich immer verständigen. Die denken doch gleich.«
Wolodymyr Fesenko, ein regierungsnaher Politologe, versucht zu beruhigen. Man solle sich nicht von überzogenen Erwartungen oder Ängsten leiten lassen, rät er auf seiner Facebook-Seite. »In der Politik kann sich die Situation schnell ändern, und was heute gesagt wird, muss nicht zwangsläufig morgen der Realität entsprechen. Besonders bei handelnden Akteuren wie Putin und Trump ist zu erwarten, dass sich ihre Positionen und Aussagen von einem Tag auf den anderen ändern können.«
Man solle erst mal abwarten, ob sich das in dem Trump-Putin-Telefonat Angekündigte auch konkret umsetzen lasse. Ein Indikator dafür, so Fesenko, seien die Vereinbarung und öffentliche Bekanntgabe eines konkreten Datums, eines Ortes, eines Formats und einer Tagesordnung für echte Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine unter Vermittlung der USA und möglicherweise mit Beteiligung der Europäischen Union[2].
Dann und nur dann könne man tatsächlich von einer neuen Situation sprechen. Andernfalls bleibe alles beim alten, Putin könnte lediglich versucht haben, Trump psychologisch zu beeinflussen, ohne tatsächlich einen Kompromiss zur Beendigung des Krieges einzugehen.
Das, was man bisher mit Trump erlebe, so der Journalist Oleg Pawljuk in der »Ukrajinska Prawda«, sei für die europäischen Hauptstädte eine »kalte Dusche«[3]. Trump habe mit seinem Telefonat mit Putin das letzte ungeschriebene Tabu gebrochen, indem er Selenskyj vor seinem Gespräch mit Putin nicht konsultiert und vor vollendete Tatsachen gestellt habe. Nun gehörten Forderungen nach einem russischen Truppenabzug oder die Forderung, ukrainische Entscheidungen zu respektieren, der Vergangenheit an.
Verwunderlich sei auch, dass Donald Trump bei der Vorstellung seines zu Russland und der Ukraine arbeitenden Teams den Namen Keith Kellogg nicht genannt habe. Dabei könne die ukrainische Seite doch gerade mit dem US-Sondergesandten so gut zusammenarbeiten.
Zuvor hatte der neue US-Verteidigungsminister Pete Hegseth im Nato-Hauptquartier in Brüssel für Unruhe bei Vertretern von 40 Staaten gesorgt, als er erklärte, dass es unrealistisch sei zu glauben, die Ukraine könne zu den Grenzen von 2014 zurückkehren[4].
In der »New Voice« wundert sich Maria Zolkina von der Stiftung »Demokratische Initiativen« über Trumps wohlwollenden Ton gegenüber Putin. Dieser sprühe vor Loyalität, Sympathie und gegenseitigem Verständnis. Sie bedauert, dass von echten Sicherheitsgarantien schon lange keine Rede mehr sei. Friedenstruppen ohne US-amerikanische Beteiligung, so Zolkina, seien fast unrealistisch.
Dass inzwischen ein anderer Umgangston zwischen Washington und Kiew herrscht, stellte auch der in Odessa lebende anarchistische Blogger Wjatscheslaw Asarow fest. In anderen Zeiten hätte man sich vor Scham die Kugel gegeben, wenn der wichtigste Geldgeber so mit einem umgeht, meint Asarow auf Telegram. Heute gehe man ins Exil, um die zur Seite geschafften Reichtümer zu verstecken.