Noch vor fünfzig Jahren war es hierzulande üblich, den abgeernteten Ackerboden im Spätherbst zu pflügen, um ihn mehrere Monate der Kälte auszusetzen. Die im Winter einsetzende Frostgare machte das Erdreich locker und feinkrümelig, sodass die Bauern im Frühling erfolgreich neu aussäen konnten.
Aus der Vergangenheit kennen viele noch das herbstliche Bild: Hinter den mechanisierten Pflügen, die von Traktoren gezogen wurden, blieben große, aufgeworfene Erdschollen zurück. Spätestens im Dezember wurden diese von einer dicken Schicht Schnee bedeckt, der im Frühjahr allmählich taute. Das schmelzende Wasser durchfeuchtete den Boden, dehnte sich während der Nachtfröste aus und sprengte die Bodenkrümel. Dieser Prozess, Frostgare genannt, fand in den letzten zehn Jahren vor allem im Nordwesten Deutschlands kaum noch statt, konstatiert Uwe Kalthoff, Koordinator eines Modellberaterteams, das in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Landwirten Strategien zum Wasserschutz entwickelt.
Auch im Allgäu nahm die Zahl der Frosttage in den Wintermonaten von durchschnittlich 17,8 Tagen in den 1970er Jahren auf durchschnittlich 12,6 Tage pro Jahr im Zeitraum zwischen 2013 und 2022 ab. Die mittleren Wintertemperaturen liegen dort seit 2013 häufig über drei Grad plus.
Der fehlende Frost im Winter hat auch einen negativen Einfluss auf Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor, welche in den Monaten mit geringerer Lichtintensität weiterhin freigesetzt werden. Dies führt zu großen Belastungen des Grundwassers sowie umliegender Flüsse und Seen.
Veränderte Wetterverhältnisse erfordern andere Herangehensweisen in der Landwirtschaft. Das gilt vor allem für die Gebiete im Norden und Nordwesten Deutschlands, aber zum Teil auch bis in die Mittelgebirgslagen im Süden und Südosten. So wird zwischen September und Oktober Wintergetreide oder eine Zwischenfrucht wie zum Beispiel Senf ausgesät. Die jungen Pflänzchen sollen einerseits den ansonsten nackten Erdboden vor Bodenerosion[1] durch Wind oder Abschwemmung von Schlamm nach Starkregen schützen. Andererseits können Zwischenfrüchte die verbliebenen Reste von stickstoffhaltigem Dünger ausnutzen. So soll verhindert werden, dass mit dem Beginn des nass-kühlen, regnerischen Wetters in den Herbst- und Wintermonaten zu viele Nährstoffe aus dem Erdboden ausgewaschen und ins Grundwasser gespült werden.
Stickstoff[2], der in mineralisierter Form als Nitrat mit dem Regenwasser ins Grundwasser gelangt, belastet das daraus gewonnene Trinkwasser in hohem Maße. In Deutschland werden rund zwei Drittel des Trinkwasserbedarfs aus Grundwasser gedeckt.
Gelangt Nitrat[3] ins Trinkwasser, sind vor allem Neugeborene und Säuglinge unter sechs Monaten gefährdet. Aufgrund ihrer Magenbesiedlung mit anderen Bakterien als bei Erwachsenen kann es zu einer Umwandlung von Nitrat in das gesundheitsschädliche Nitrit kommen.
Dieses führt zur Oxidation des Blutfarbstoffes Hämoglobin zu Methämoglobin, welches keinen Sauerstoff binden und transportieren kann. Ein Enzym, das dieses Methämoglobin im Körper abbaut, ist bei Neugeborenen noch nicht so gut wirksam. Daraufhin erleiden Säuglinge einen akuten Sauerstoffmangel, was sich in einer Blaufärbung ihrer Haut zeigt und tödlich enden kann.
Nicht alle Babys reagieren derart empfindlich auf Nitrat in der zubereiteten Säuglingsnahrung, aber die vulnerablen Kinder gilt es zu schützen. Mit dem Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter Wasser soll eine Gefährdung ausgeschlossen werden.
Das Problem der Nitratbelastung von Gewässern in Gebieten der Europäischen Union ist seit den 1970er Jahren bekannt. Jedoch erst im Dezember 1991 wurde die Richtlinie 91/676/EWG zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen erlassen.
Um die Ökosysteme in Bächen, Teichen, Flüssen und letztendlich in Nord- und Ostsee zu schützen, wurden Maßnahmen festgelegt, welche die Lagerung und das Ausbringen sämtlicher Stickstoffverbindungen auf landwirtschaftlichen Flächen betreffen.
Sonst kommt es zu einer weiteren Eutrophierung von Gewässern – das heißt, deren Anreicherung mit Nährstoffen –, die zudem durch eine Erwärmung des Wassers beschleunigt wird. Mehr Stickstoffverbindungen im Wasser lassen Algen stärker wachsen. Abgestorbene Algen werden wiederum von Mikroorganismen abgebaut, die sehr viel Sauerstoff verbrauchen. In der Folge bricht das Ökosystem in den eutrophierten Gewässern aufgrund von Sauerstoffmangel[4] zusammen. In der Ostsee sind bereits sauerstoffarme Todeszonen entstanden, in denen auch Fische nicht überleben.
In Gebieten, wo der Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter Grundwasser überschritten ist, dürfen deshalb gemäß der Düngeverordnung nur 80 Prozent des ermittelten Bedarfs an stickstoffhaltigem Dünger aufs Feld gebracht werden. Dabei müssen organische Dünger wie Gülle oder Gärsubstrat einer Nährstoffanalyse unterzogen werden. Belastete Regionen befinden sich unter anderem in Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Hessen, Franken und in Mitteldeutschland. Immer öfter reicht diese pauschale Beschränkung nicht aus, um das Grundwasser wie die umliegenden Gewässer zu schützen.
Der Klimawandel verschärft die Problematik zusätzlich. Die Sommermonate bleiben tendenziell zu trocken. Im Herbst und Winter regnet es mehr. Wenn zur Hauptwachstumszeit im Frühling und Sommer eine längere Dürre herrscht, können die Pflanzen den im Boden vorhandenen Stickstoff nicht optimal verwerten. Mit Beginn des Herbstes verbleibt dann zu viel Stickstoff ungenutzt im Boden und kann mit dem Regen ausgewaschen werden.
In Deutschland werden rund zwei Drittel des Trinkwasserbedarfs aus Grundwasser gedeckt.
Leichtere Sandböden, vor allem in den vom milderen Seeklima geprägten norddeutschen Regionen, sind in den Wintermonaten deutlich wärmer und daher stärker von der Problematik betroffen. Dort wird organisch gebundener Stickstoff von Bodenbakterien teilweise ganzjährig in das für Pflanzen leicht verfügbare, mineralische Nitrat umgewandelt. Entscheidend ist daher eine rechtzeitige Aussaat von Zwischenfrüchten bis Mitte September beziehungsweise direkt nach der Ernte der Vorfrucht.
Uwe Kalthoff erläutert dazu in einer ersten Bilanz des Modellprojekts zu grundwasserschonenden Anbauverfahren: »Bis eine angepasstere Bewirtschaftung die Grundwasserwerte beeinflusst, kann es bis zu 25 Jahre dauern.« In dem Projekt zur Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie sollen Verbesserungsmöglichkeiten für den Umgang mit Stickstoff schneller erkannt und in der Praxis umgesetzt werden.
Dazu wurden in zwölf landwirtschaftlichen Betrieben in Nordrhein-Westfalen spezielle Saugplatten in einer Tiefe von bis zu 115 Zentimetern in die Ackerflächen eingesetzt, um Proben von Sickerwasser zu nehmen. Auch Bohrungen bis zu 16 Metern Tiefe werden durchgeführt. Auf diese Weise können konkrete Maßnahmen und Änderungen in der Bodenbearbeitung, Fruchtfolge und Düngung bereits nach wenigen Jahren tendenziell bewertet und schneller Empfehlungen für Landwirte ausgesprochen werden, um Stickstoffverluste zu vermeiden.
Für die Versorgung der Pflanzen mit Stickstoff gibt es verschiedene Wege. In Deutschland mit der momentan noch umfangreichen und intensiven Tierhaltung sind das Wirtschaftsdünger wie Gülle, Mist oder Gärsubstrat, das bei der Biogas-Erzeugung aus Gülle und pflanzlichen Nebenprodukten anfällt. Außerdem kommen synthetisch erzeugtes Ammoniumnitrat und Ammoniumphosphat zum Einsatz.
Im ökologischen Landbau setzt man neben dem tierischen Wirtschaftsdünger auf die sogenannte Gründüngung. Dafür werden Pflanzen aus der Familie der Hülsenfrüchtler – auch Leguminosen[5] genannt – wie Erbsen, Bohnen, Linsen, Lupine, Luzerne oder Klee angesät. Kleepflanzen und andere Leguminosen leben in Symbiose mit den Knöllchenbakterien, welche den Stickstoff aus der Luft in eine für die Pflanzen verwertbare Form umwandeln.
Wird zum Beispiel Kleegras im Frühjahr auf dem Feld umgebrochen, trägt dies maßgeblich zur Stickstoffversorgung der nachfolgenden Bepflanzung bei. »Auf leichten Sandböden können innerhalb von zwei Monaten nach Kleegrasumbruch bis zu 200 Kilogramm Stickstoff pro Hektar frei werden«, sagt Pascal Gerbaulet in einem Gespräch, das auf dem Internetportal oekolandbau.de veröffentlicht ist. Im Rahmen des Modellprojekts zum Grundwasserschutz berät er sieben Bio-Betriebe.
Danach können vorgezogene Weißkohlpflanzen gesetzt, Kartoffeln gelegt oder auch Mais gesät werden, denen die von den Knöllchenbakterien produzierten Ammonium-Ionen zugutekommen. Im Gemüseanbau verspricht das Transferieren von Kleeschnitt vom »Geberfeld« auf ein »Nehmerfeld« mit bedürftigen Jungpflanzen Erfolg.
Besonders nach der Ernte von Kartoffeln, die etwas weniger Stickstoff verbrauchen, sind Zwischenfrüchte wichtig, welche die Stickstoffreste verwerten, bevor sie im Herbst einerseits nutzlos, andererseits umweltschädlich versickern. So hinterlässt eine Senfsaat, welche als Grünfutter verwendet werden kann, durch ihre tiefen Wurzeln einen gut gelockerten Boden, die sogenannte Bodengare.
Ebenso werden in dem Projekt in NRW technische Lösungen erprobt, wie flüssiger Wirtschaftsdünger zielgenau mittels einer Unterfußdüngung ausgebracht und rasch in die obere Erdschicht eingearbeitet werden kann. Das Messen von mineralisiertem Stickstoff im Ackerboden kann zu einem bewussteren Umgang mit wertvollem Dünger beitragen.
Im ökologischen Landbau gibt es grundsätzlich ein geringeres Düngeniveau, jedoch sind die Stickstoffmengen schwerer zu kalkulieren, räumt Pascal Gerbaulet ein. Der Klimawandel macht es für alle Landwirte komplizierter.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189033.klimafolgen-winterregen-waescht-stickstoff-aus.html