Es waren tumultartige Szenen, die sich vergangene Woche im ukrainischen Parlament abspielten. Abgeordnete der Partei »Europäische Solidarität« hielten Plakate am Rednerpult hoch mit Aufschriften wie »Gegen politische Repressionen«, »Nein zur Diktatur!«, »Die Ukraine ist nicht Russland« und hinderten gleichzeitig andere Abgeordnete am Zugang zu eben diesem Rednerpult.
Mit ihrer Aktion protestierten sie gegen den jüngsten, von Präsident Wolodymyr Selenskyj unterschriebenen Erlass des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates (RNBO). Dieser hatte ebenfalls in der vergangenen Woche fünf Personen mit Sanktionen belegt, darunter auch den Ex-Präsidenten Petro Poroschenko[1].
In einem Anhang zu dem Erlass wird auf dem Portal des ukrainischen Präsidenten konkretisiert, welche Einschränkungen Poroschenko nun über sich ergehen lassen muss. So werden ihm alle staatlichen Auszeichnungen und anderen Formen der Anerkennung aberkannt. Er darf nicht mehr über seine Vermögenswerte verfügen, Handel treiben oder Kapital aus der Ukraine ausführen. Außerdem darf er sich nicht an Privatisierungen beteiligen. Ferner dürfen ihm keine Sendelizenzen erteilt werden.
Am Freitag vergangener Woche erklärte die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine, dass gegen Poroschenko Ermittlungen eingeleitet wurden. Man wirft ihm vor, 2014 bis 2015 in Zusammenarbeit mit Vertretern der russischen politischen Führung die Separatisten der »Volksrepubliken« von Donezk und Luhansk unterstützt zu haben, indem er den illegalen Handel mit Kohle aus den von Russland besetzten Gebieten ermöglicht haben soll. Dabei sollen die Separatisten ungefähr zehn Millionen Euro eingenommen haben.
Petro Poroschenko sieht in der Entscheidung des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates einen »kolossalen Schlag gegen die innere Einheit« des Landes[2]. Er vermutet, dass hinter den seiner Auffassung nach politisch motivierten Sanktionen »Hass, Angst und Rache« stehen.
Die Kritik am Vorgehen gegen Poroschenko und vier weitere Personen reißt indes nicht ab. Unter anderem wandte sich der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, in aller Schärfe auf dem Internetportal der EVP gegen die Entscheidung des RNBO. Mit großer Verwunderung, so Weber, habe er Kenntnis davon erhalten. Diese Entscheidung, so fürchtet er, könne zur Verhaftung und zu restriktiven Maßnahmen gegen Poroschenko führen. »In einer solchen Situation sind parteipolitische Erwägungen und Taktiken im Hinblick auf mögliche Wahlen völlig unangemessen.« Die gegen Poroschenko erhobenen Anschuldigungen des Hochverrats bezeichnet Weber als unbegründet und politisch motiviert.
Beunruhigt über die Verfolgung von Petro Poroschenko zeigte sich auch Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Für ihn sei es eine sehr schlechte Nachricht, dass Poroschenko nicht an der Münchner Sicherheitskonferenz habe teilnehmen können, weil ihm die ukrainischen Behörden die Ausreise verwehrt hatten, zitiert ihn das Internetportal 5.ua.
In einer gemeinsamen Erklärung protestieren ein knappes Dutzend ukrainische Menschenrechtsorganisationen gegen die RNBO-Entscheidung, unter ihnen die Menschenrechtsgruppe Charkiw[3] und die Ukrainian Helsinki Human Rights Union: »Die Anwendung von Sanktionen gegen Oppositionspolitiker und Geschäftsleute stellt eine außergerichtliche politische Verfolgung dar, die die grundlegenden Prinzipien des Rechts untergräbt, die Verfassung grob verletzt und gegen internationale Abkommen verstößt, die von der Ukraine ratifiziert wurden«, heißt es in der Erklärung. Diese Praxis stelle eine »ernsthafte Bedrohung für die Menschenrechte und fundamentale Freiheiten« dar.
Sanktionen seien ein internationales rechtliches Instrument von politischer Natur, das von einem Staat gegen einen anderen Staat sowie dessen physische und juristische Personen angewendet wird, wenn es keine anderen Möglichkeiten gibt, gegen deren feindlichen Einfluss vorzugehen, heißt es weiter. Sanktionen gegen die eigenen Bürger seien allerdings nur dann zulässig, wenn diese sich in feindlichen Gebieten aufhalten und der Staat keine Möglichkeiten hat, sie zur Verantwortung zu ziehen. Letztlich, so das Urteil in der gemeinsamen Erklärung, seien die Handlungen von Präsident Selenskyj eine außergerichtliche Bestrafung politischer Gegner. Diese Maßnahmen seien illegal und willkürlich.
Irgendwie müsse Poroschenko nun aber auch etwas auslöffeln, was er sich selbst eingebrockt habe, kommentiert auf Telegram der ukrainische Abgeordnete Max Buschanski, der zur Partei von Selenskyj gehört. Schließlich sei es Poroschenko gewesen, der zu seinen Amtszeiten den Sicherheitsrat RNBO mit so vielen Vollmachten ausgestattet und auch das Gesetz zu den Sanktionen auf den Weg gebracht habe.