Kommentarlos verließ Wolodymyr Selenskyj das Treffen mit J. D. Vance. Nicht einmal eine Stunde hatte die lang erwartete Unterhaltung des ukrainischen Präsidenten und des US-Vizepräsidenten gedauert. Aus dem großen Durchbruch, den die Trump-Administration im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz angekündigt hatte, wurde nichts.
Statt gemeinsam eine Lösung für den drei Jahre andauernden Krieg in der Ukraine zu finden, war das vergangene Wochenende von Unverständnis und Beleidigungen geprägt. An der Abrechnung von Vance werden die Europäer noch lange zu knabbern haben[1]. Selten wurden sie beim Heimspiel in München von den Cowboys aus Übersee derart vorgeführt. Selten haben sie anschließend derart hilflos gewirkt.
Viel war in den Tagen vor der Konferenz spekuliert und durchgesteckt worden, wie US-Präsident Donald Trump den Ukraine-Krieg beenden will[2]. Vom Einfrieren der Frontlinie, von Gebietsabtretungen war die Rede. Und davon, dass US-Truppen keinesfalls in der Ukraine auftauchen werden. In München schien zwischendurch genau das Gegenteil der Fall zu sein. US-Soldaten? Warum nicht. Selbst Atomwaffen für die Ukraine standen rhetorisch mal wieder im Raum. Die US-Gesandten schienen selbst nicht so recht zu wissen, was sie da eigentlich sagen oder was sie wollen.
Lediglich bei einer Sache blieb man hart. Über ein Kriegsende verhandle man mit Moskau, ohne die Europäer und ohne Kiew. Was beide umgehend erneut ablehnten. Finnlands Präsident Alexander Stubb sprach passend von »diplomatischer Kakophonie«, die man in München erleben konnte.
Bereits jetzt ist klar, dass die USA sich einen Teil der ukrainischen Wirtschaft nach dem Ende des Krieges unter den Nagel reißen werden. Schon unter Joe Biden waren Personen in den Aufsichtsräten wichtiger ukrainischer Unternehmen platziert worden.
Trump will die Seltenen Erden, die Selenskyj zuvor offensiv als Gegenleistung für weitere Hilfe an den Meistbietenden angeboten hatte[3]. US-Finanzminister Scott Bessent drängte Selenskyj, ein entsprechendes Abkommen zu unterzeichnen. Der hatte nur wenig Zeit, das US-Dokument durchzusehen und verweigerte seine Unterschrift. Knackpunkt soll sein, dass Trump die Einnahmen aus dem Mineraliengeschäft mit den bisherigen US-Ausgaben verrechnen will. Weitere Lieferungen müssen neu bezahlt werden. Angesichts der Forderungen soll die Ukraine »schockiert« gewesen sein, meldet die »Washington Post« mit Verweis auf einen ukrainischen Beamten.
Nach den Telefonaten zwischen Trump und Putin sowie zwischen den Außenministern Marco Rubio und Sergej Lawrow deutet immer mehr darauf hin, dass sich die USA und Russland in den kommenden Tagen zu Gesprächen treffen. Kreml-Sprecher Peskow lobte das Gespräch zwischen Trump und Putin, sprach von einem starken Signal und davon, dass die USA und Russland Probleme jetzt per Dialog lösen werden. »Das ist ein starkes Signal, dass wir jetzt versuchen, Probleme mittels Dialog zu lösen. Und jetzt werden wir über Frieden und nicht über Krieg reden«, sagte Peskow, der Trump jederzeit in Moskau willkommen hieß.
Am Freitag wurde bekannt, dass Moskau ein »Team voller Schwergewichte« für die Gespräche mit den USA zusammenstellt. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg besteht das Team aus dem Assistenten für außenpolitische Fragen, Jurij Uschakow, dem Chef des Auslandsgeheimdienstes SWR, Sergej Naryschkin, und dem Chef des Russian Direct Investment Funds, Kirill Dmitrijew. Uschakow und Naryschkin waren bereits Teil der russischen Verhandlungsdelegation kurz nach Kriegsbeginn im Frühjahr 2022 in der Türkei. Dmitrijew hatte erst vor wenigen Tagen den Austausch des inhaftierten US-Amerikaners Marc Fogel verhandelt. Auch weitere Teilnehmer der 2022er-Verhandlungen könnten noch in die aktuelle Gruppe kommen.
Die Auswahl der Verhandlungsteilnehmer zeige, dass Putin es ernst meine und eine möglichst gute Position für sich herausholen wolle, schreibt Bloomberg weiter. Auch der britische Historiker und Russland-Experte Mark Galeotti glaubt, dass es Putin viel ernster sei, Gespräche über ein Kriegsende zu führen, als man glauben will. Alle drei Männer kennen sich mit den USA aus, wissen sich also, worauf sie sich einlassen. Das war 2022 mit dem ehemaligen Kulturminister Wladimir Medinskij noch ganz anders.
Die Europäer reagieren auf die US-amerikanisch-russischen Gespräche mit einem eigenen eilig einberufenen Gipfel am Montag in Paris. Nach Angaben von Diplomaten wird es um die Frage gehen, was die Europäer zu einem möglichen Friedensdeal beitragen können.
Das genaue Teilnehmerfeld ist aktuell noch nicht bekannt. Laut britischer Nachrichtenagentur PA wird Premierminister Keir Starmer sicher erwartet. Der sagte, dies sei ein »einmaliger Moment für unsere nationale Sicherheit« und es sei klar, dass Europa eine größere Rolle in der Nato übernehmen müsse. Das Vereinigte Königreich werde sich dafür einsetzen, dass die USA und Europa zusammenhielten.
Wie Wolodymyr Selenskyj sich in den kommenden Tagen verhalten wird, ist noch nicht wirklich abzusehen. Gut möglich, dass der ukrainische Präsident doch versucht, sich in die Verhandlungen zwischen Trump und Putin einzubringen und damit auch auf die Europäer verzichtet, die er eigentlich unbedingt am Gesprächstisch sehen will.
Auf der anderen Seite legt Selenskyj die Latte ständig höher und nennt fast täglich neue, beinahe unerfüllbare Forderungen. Auch in München wurde diese Liste länger, was insbesondere die USA inzwischen einfach nur noch nervt. Aber auch die Europäer reagieren bisweilen ungehalten, wenn Selenskyj sie wieder einmal vor sich hertreiben will.
In München bekräftigte der ukrainische Präsident erneut seine Forderung nach einer europäischen Armee und der Entsendung von Truppen, wenn schon nicht in die Ukraine, dann wenigstens an ihre Grenze. Am Sonntag sprach der Parlamentsabgeordnete Oleksij Hontscharenko von 25 000 französischen und britischen Soldaten, die für die Entsendung in die Ukraine bereitstünden.
Hontscharenkos Behauptung dürfte, wie so vieles in diesen Tagen, nicht mehr sein als eben das, eine unbelegte Behauptung. Auch die Forderung nach einer europäischen Armee wird Selenskyj nicht erfüllt, machte Polens Außenminister Radosław Sikorski deutlich. Ebenso wenig werde sein Land Soldaten in die Ukraine schicken, das sei nicht die Aufgabe der polnischen Armee, so Sikorski.
Die Münchner Konferenz hat gezeigt: Trumps USA gehen auf Abstand zu den Europäern und das Establishment des alten Kontinents lässt sich von Trump und seinen Bros hemmungslos vorführen. Der EU bleibt nur die Zuschauerrolle. Sie muss darum kämpfen, ernst genommen zu werden. Der eilig einberufene EU-Gipfel am Montag wird daran wenig ändern.
Wenn Selenskyj zum 24. Februar, dem dritten Jahrestag von Russlands Großangriff, alle westlichen Unterstützer nach Kiew einlädt, geschieht das nur aus einem Zweck: Zusammenhalt symbolisieren. Zusammenhalt vor allem für Selenskyj, so wird es zumindest der Präsident sehen. Der muss seinem immer müder werdenden Volk zeigen, dass der Westen hinter ihm steht. Es geht um ein Signal nach innen, wo Selenskyj zunehmend Probleme bekommt. Weil er immer diktatorischer auftritt, wie ihm Präsidenten-Vorgänger Petro Poroschenko vorwirft. Weil die Korruption weiter hoch ist, weil viele großspurige Versprechen nicht eingelöst wurden.