Nur die Sonne lacht über dem Olympiapark[1], alles andere ist an diesem Dienstag Zweckoptimismus bei Hertha BSC. Vorgestellt wird Stefan Leitl als neuer Trainer des Berliner Zweitligisten. Der 47-Jährige spricht über seine »Vorfreude auf Berlin« und eine »Mannschaft, die alles hat, was man braucht, um erfolgreich zu sein«. Über den Abstieg wolle er nicht reden. Aber um genau diesen zu verhindern, wurde Leitl geholt.
Die Berliner wollten in der zweiten Zweitligasaison um den Aufstieg mitspielen. Aktuell steht die Hertha mit 25 Punkten jedoch nur auf Tabellenplatz 14 – fünf Zähler vom Relegationsrang entfernt. Deshalb wurde Cristian Fiél am Sonntag, einen Tag nach dem 1:2 bei Fortuna Düsseldorf, entlassen. Nun soll Leitl beim Krisenklub[2] die große Angst vor dem Absturz verjagen. Denn Hertha BSC ist weiterhin hoch verschuldet, Investor 777 Partners[3] steht selbst vor der Pleite und im kommenden November muss der Klub eine Anleihe in Höhe von 40 Millionen Euro zurückzahlen. Da käme die Drittklassigkeit äußerst ungelegen.
Schuld an der Dauerkrise sind aber nicht nur die Vorgänger[4] der aktuell Verantwortlichen im Verein. Falsche Entscheidungen wurden auch in der jüngeren Vergangenheit getroffen. Dazu zählt neben der Kaderzusammensetzung auch die von Sportdirektor Benjamin Weber, Fiél im vergangenen Sommer für eine kolportierte Ablösesumme von einer halben Million Euro vom 1. FC Nürnberg nach Berlin zu holen.
Nach 22 Spielen mit nur sieben Siegen weiß man in Berlin immer noch nicht genau, wofür Fiél als Trainer eigentlich steht, ähnlich wie auf seinen vorherigen Stationen in Dresden und Nürnberg. Knappe Niederlagen wie zuletzt bei Aufstiegskandidat Düsseldorf wechselten sich mit erbärmlichen Auftritten der Hertha wie gegen die Abstiegskandidaten aus Regensburg oder Münster ab. Somit hat es wieder mal ein Nachfolger von Pál Dárdai[5] nicht besser gemacht als Herthas erfolgreichster Trainer der letzten Dekade.
Leitl ist jetzt der zwölfte Trainer in den vergangenen fünfeinhalb Jahren. Damals im Juni 2019 wurde Dárdai durch Ante Čović ersetzt. Dieser blieb als Trainer ebenso blass und erfolglos wie Fiél jetzt. Beide Male wollte Hertha sich weiterentwickeln, einen besseren Fußball spielen als den im Rahmen der Berliner Möglichkeiten zwar gewinnbringenden aber einfachen von Dárdai.
Wenn Leitl nun sagt, die Mannschaft habe alles, um erfolgreich zu sein, ist das eine zwar unbewusst geäußerte aber zutreffende Kritik an seinem Vorgänger und seinem jetzigen Arbeitgeber. Trotz eines vor dieser Saison mehr als halbierten Etats liegt Hertha BSC mit einem Personalaufwand von 46 Millionen Euro unter den Top drei der zweiten Liga. Klubs, die um den Aufstieg in die Bundesliga kämpfen, schaffen das mit geringerem finanziellen Aufwand, etwa der Tabellenzweite Hamburger SV. Der 1. FC Magdeburg[6] hat es sogar mit rund 35 Millionen Euro weniger bislang auf Platz vier geschafft.
Zu Leitl habe es schon im vergangenen Sommer Kontakt gegeben, erzählt Sportdirektor Weber am Dienstag. Nun sitzt der damals Umworbene auf dem blau-weißen Podium – nach einer »ersten super intensiven Einheit mit der Mannschaft«. Das satte Grün des Schenckendorffplatzes auf dem sonst weiß verschneiten Vereinsgelände hat er schon kennengelernt. Viel mehr aber noch nicht. Am Montag angekommen, muss er jetzt »erst mal ein Gespür für die Spieler bekommen«. Deshalb sagt der neue Trainer inhaltlich auch nicht viel mehr als Weber: »Wir müssen ins Punkten kommen.«
Leitl bleiben nur drei Trainingseinheiten bis zum Spiel gegen den 1. FC Nürnberg. »Voller Fokus auf Freitag«, sagt er. Erst danach wolle er sich um die kommenden Wochen kümmern. Vorher will er mit einem Sieg »den Turnaround schaffen«. Und das gleich in doppelter Hinsicht: Nach nur zwei Siegen in den vergangenen zwölf Ligaspielen muss unbedingt das Selbstbewusstsein der Spieler gestärkt werden. Und nach bislang nur sieben Punkten in zehn Spielen im Olympiastadion muss die wichtige Heimstärke wiedergefunden werden.
Der Blick in Leitls Vita verrät, dass er all das schaffen könnte. Er gilt als solider Arbeiter, einer wie Dardai, seine Mannschaften überzeugten meist mit einer starken Defensive. Nach der ersten Trainerstation 2017 beim Zweitligisten Ingolstadt ging es im Februar 2019 nach Greuther Fürth. Anderthalb Jahre später führte er die kleine Spielvereinigung aus Mittelfranken in die Bundesliga. Zuletzt überzeugte er auch bei Hannover 96. Trotz Platz sieben mit nur zwei Zählern Rückstand auf einen direkten Aufstiegsplatz wurde er dort im Dezember entlassen. Klingt nach guten Voraussetzungen, um die Alte Dame vor dem Absturz zu retten.