Keir Starmer gibt sich dieser Tage zupackend. Er sei bereit, bei der Verteidigung der Ukraine »eine Führungsrolle« zu übernehmen, sagte der britische Premierminister Anfang der Woche. Für die kollektive Sicherheit Europas sei dies »ein Moment, wie er einmal in einer Generation kommt.« Nicht nur die Zukunft der Ukraine stehe auf dem Spiel, es sei »eine existenzielle Frage für Europa«, sagte Starmer. Er hat sogar angekündigt, Großbritannien werde, wenn nötig, Friedenstruppen nach Osteuropa entsenden – damit ist er einen großen Schritt weiter gegangen als die meisten seiner europäischen Amtskollegen.
Aber Starmer betont auch, dass es ohne die US-Amerikaner nicht gehen wird. Nach dem eilig anberaumten Krisengipfel am Montag in Paris sagte der Premierminister, die USA müssen einen »backstop« bereitstellen, also eine Sicherheitsgarantie. »Diese Garantie ist der einzige Weg, Russland davon abzuhalten, die Ukraine erneut anzugreifen«, sagte Starmer. Wie er sich eine solche Rückversicherung vorstellt, darüber gab Starmer keine Details. Allerdings hatte US-Verteidigungsminister Pete Hegseth schon vergangene Woche ausgeschlossen, dass US-amerikanische Soldaten in der Ukraine stationiert werden; die europäische Sicherheit sei die Verantwortung der europäischen Nato-Staaten, sagte er.
Starmer hat sich vorgenommen, zwischen diesen gegensätzlichen Positionen zu vermitteln, beziehungsweise: die US-Amerikaner zu überreden, in der Ukraine eine aktivere Rolle zu übernehmen. Er werde nächste Woche nach Washington reisen, um sich mit Präsident Donald Trump zu treffen »und zu besprechen, was wir als die wichtigsten Elemente eines dauerhaften Friedens sehen«, sagte Starmer.
Die britische Regierung präsentiert sich also als Brückenbauerin zwischen den USA und der EU. Wirtschaftsminister Jonathan Reynolds sagte am Sonntag, dass Washington Großbritannien »ein bisschen anders wahrnimmt« als das restliche Europa. Die Rolle Londons sei es, in der neuen Trump-Ära als Vermittler aufzutreten.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs berufen sich die Briten gern auf die »special relationship«, die »besondere Beziehung« zwischen London und Washington. In Realität läuft es auf eine starke Abhängigkeit der Briten vom atlantischen Partner hinaus, insbesondere in militärischen Fragen. Schon während der ersten Trump-Präsidentschaft warnte der Historiker Max Hastings die damalige Premierministerin Theresa May: »Bitte fügen Sie sich nicht der langen Liste von britischen Regierungschefs hinzu, die sich Illusionen machen, dass die Amerikaner uns irgendeinen Gefallen tun.«
Nichtsdestotrotz scheint Starmer auf den guten Willen des flatterhaften Machthabers im Weißen Haus zu hoffen. Seit Trumps Wiederwahl hat der Premierminister alles daran gesetzt, den neuen Präsidenten bei Laune zu halten und Großbritannien als verlässlichen Partner darzustellen. Als etwa die US-Regierung Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte ankündigte, sagte Douglas Alexander, Staatsminister im Handelsministerium, man werde sich nicht zu »reflexartigen Reaktionen« hinreißen lassen. Während die EU umgehend Gegenmaßnahmen in Aussicht stellte, sagte Alexander, man werde vorerst einen »kühlen und klaren Kopf« behalten.
Die Rhetorik der britischen Minister grenzt zuweilen an Anbiederung. Trump sei bei ihrem Treffen im September »sehr witzig, sehr freundlich, sehr herzlich gewesen«, sagte Außenminister David Lammy nach Trumps Amtsantritt. Er habe »unglaubliche Großzügigkeit« gezeigt. Noch vor wenigen Jahren hatte Lammy Trump als »Nazi-sympathisierenden Soziopathen« bezeichnet.
Ob diese Art der Schmeichel-Strategie funktionieren und Starmer bei Trump auf offene Ohren stoßen wird, ist jedoch sehr unsicher – nicht zuletzt aufgrund der notorischen Unberechenbarkeit und Dünnhäutigkeit des US-Präsidenten. Es sei vielmehr denkbar, dass die Differenzen bezüglich der Zukunft der Ukraine zu verstärkten Spannungen zwischen London und Washington führen werden, schreibt die Politologin Kamila Kwapińska von der Universität Kent. Denn in den vergangenen drei Jahren zählten die Briten zu den entschlossensten Unterstützern der Ukraine. Als Starmer vor einem halben Jahr die Regierungsgeschäfte übernahm, versprach er Wolodymyr Selenskyj umgehend, mehr Rüstungsgüter zu liefern.
Es sei schwer vorstellbar, dass Großbritannien diese langjährige Ukraine-Strategie plötzlich aufgeben wird, um ihre Außenpolitik an einer unberechenbaren US-Regierung auszurichten, schreibt Kwapińska. Die jüngsten Äußerungen Trumps, gemäß denen die Ukraine irgendwie selbst schuld an der russischen Invasion sei, dürften diese These stärken.