Wer an Hanau erinnert und gegen Rassismus kämpft, kann sich auf die Polizei nicht verlassen. Schließlich waren es Polizeibeamte, die die Notrufe der Hilfesuchenden am 19. Februar 2020 unbeantwortet[1] ließen. Ein Teil der während des rassistischen Anschlags eingesetzten Polizisten gehörte einem Sondereinsatzkommando an, das wegen Rechtsextremismus aufgelöst werden musste. Es waren Polizeibeamte, die die Angehörigen der neun Ermordeten als Gefährder behandelten.
Wer in Berlin am Mittwoch an Hanau erinnerte und gegen Rassismus auf der Straße demonstrierte, der kam aber an der Polizei nicht vorbei. Bereits nachmittags blockierten Polizeiwannen die Neuköllner Sonnenallee, sodass der Bus nicht zur High-Deck-Siedlung fahren konnte, wo das Gedenken stattfand. Senior*innen liefen langsamen Schrittes auf dem eisglatten Fußgängerweg, um den Ort zu erreichen. Insgesamt nahmen laut Veranstalter 13 000 Menschen an dem Gedenken und der Demonstration teil, die Polizei nannte 5300.
Das antirassistische Bündnis hatte sich die High-Deck-Siedlung als Gedenkort ausgesucht, weil sie nach Silvester 2022 einer rassistischen Debatte zum Opfer fiel. »Statt sich darum zu kümmern, was hier gebraucht wird, wird der Ort als krimineller Problembezirk gebrandmarkt«, sagt eine Sprecherin während des Gedenkens. Hanau und die High-Deck-Siedlung trenne nur der Zufall – beides sind Orte mit vielen armen und migrantischen Bewohner*innen.
Neben den Namen der Ermordeten hallen Meldungen der letzten Wochen über den Platz vor der Siedlung: Sie erzählen von Menschen, die in Berlin rassistisch angegriffen wurden und von dem kurdischen Geflüchteten Fethullah Aslan[2], der in einem Berliner Krankenhaus starb. Die Kerzen, Blumen und Bilder, die in Erinnerung an Hanau in der Siedlung hängen, müssen just nach Ende des Gedenkens entfernt werden – so lautete die Auflage der Polizei.
Auch dutzende Schilder und rote Fahnen, die an Stöcken befestigt sind, werden den Demonstrant*innen von der Polizei weggenommen, sodass der Demonstrationszug eine Dreiviertelstunde bei Minusgraden auf der Sonnenallee verharrt. Ursprünglich bis zum Karl-Marx-Platz war die Demonstration geplant, doch bereits einen halben Kilometer vor dem Platz wird sie vom Veranstalter beendet: »Aufgrund der dauerhaften Schikane der Polizei entschieden wir uns, unter diesen Bedingungen nicht weiterzulaufen«, erklärt ein Sprecher des Bündnisses »nd«.
Mehrfach greift die Polizei am Mittwoch in den Demonstrationszug ein. Videos auf Instagram zeigen Schläge von Beamten in die Gesichter von Demonstrant*innen, die sich hinter Transparenten zu schützen versuchen. Die Veranstalter ordnen die Eingriffe in den Kontext der massiven Repression gegen die palästinasolidarische Bewegung[3] ein, insgesamt acht Menschen seien festgenommen worden. Die Polizei teilt mit, dass »100 vermummte Personen Einsatzkräfte körperlich bedrängt« hätten und sie deshalb in den Demonstrationszug eingegriffen habe.
Statt auf den Staat und seine Exekutive verlasse sich das Bündnis auf Selbstorganisation[4]. Man wolle »nicht nur gemeinsam trauern, dass ein Anschlag passiert ist, sondern gemeinsam dafür kämpfen, dass kein weiterer passiert«, wie ein Sprecher mitteilt.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189203.antirassismus-berlin-verlass-nur-auf-die-staatsgewalt.html