nd-aktuell.de / 20.02.2025 / Berlin / Seite 1

Bekifft im Straßenverkehr

Unfallbilanz: Zahl der Zusammenstöße unter Einfluss von Cannabis am stärksten gestiegen

Matthias Krauß
Auf der Bundesstraße 1 nahe Rüdersdorf bei Berlin sind im März vergangenen Jahres mehrere Menschen ums Leben gekommen.
Auf der Bundesstraße 1 nahe Rüdersdorf bei Berlin sind im März vergangenen Jahres mehrere Menschen ums Leben gekommen.

Seit der Legalisierung des Konsums von Cannabis am 1. April 2024 nahmen in Brandenburg die Verkehrsunfälle unter dem Einfluss dieser Droge um ein Viertel zu. »Bei keiner anderen Unfallursache mussten wir einen solchen Anstieg erleben«, sagte Innenministerin Katrin Lange (SPD) am Donnerstag, als sie die Verkehrsunfallbilanz für das vergangene Jahr präsentierte. Kritiker und Skeptiker, darunter die Polizei, die vor der Legalisierung gewarnt hatten, müssten sich bestätigt fühlen. Sie selbst sei kein Freund dieser Entscheidung gewesen, sagte Lange. »Die Ampel-Regierung hätte besser daran getan, sich um andere Dinge zu kümmern.«

Geringfügig weniger Unfälle, aber 114 Verkehrstote statt zuvor 108 hat es im vergangenen Jahr gegeben. Wieder spielten Geschwindigkeitsüberschreitung[1], Missachten der Vorfahrt und das Führen eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss eine erhebliche Rolle. Laut Ministerin Lange gingen 90 Prozent der ermittelten Trunkenheitsfahrten auf das Konto von Männern. »Frauen nehmen substanziell weniger besoffen am Straßenverkehr teil«, unterstrich die für ihre mitunter hemdsärmeligen Formulierungen bekannte SPD-Politikerin. »Das spricht sehr für das weibliche Geschlecht.«

Von besonderen Überraschungen sei die Unfallbilanz verschont geblieben. Doch kommen nach wie vor im Straßenverkehr viele Menschen ums Leben. Brandenburg sei ein großes Bundesland mit viel Verkehr, erläuterte die Ministerin. Glücklicherweise sei es in 90 Prozent der Unfälle bei Sachschäden geblieben. Zwei Drittel aller Unfälle ereignen sich innerhalb von Ortschaften. Zumeist blieb es dort bei Blechschäden. Außerorts werden – bedingt durch die höhere Geschwindigkeit – die Unfälle gefährlicher.

Dass 2024 weder ein Kind noch ein Jugendlicher im Straßenverkehr sterben musste, sei eine gute Nachricht, sagte Lange. Zugenommen habe die Opferzahl allerdings bei jungen Erwachsenen und Senioren. Polizeipräsident Jan Müller ergänzte, den Senioren müsse eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Schon heute machten die über 65-Jährigen ein Viertel der Gesamtbevölkerung aus und ihr Anteil werde kurz- und mittelfristig noch einmal stark zunehmen. Bei jedem zweiten Unfall, an dem Senioren beteiligt waren, haben sie den Unfall selbst verursacht. Die Polizei habe einen Whatsapp-Kanal zur Verkehrssicherheit eingerichtet, der sich speziell an Rentner wendet, sagte Müller.

Wenn es an Busverbindungen auf dem Lande mangelt, zwingt das alte Menschen, sich auch gebrechlich aufs Fahrrad zu schwingen oder ins Auto zu setzen[2], wenn sie einkaufen oder zum Arzt müssen. Die Landkreise bemühen sich, dem mit einem Rufbus-System entgegenzuwirken, erklärte Infrastrukturminister Deflef Tabbert (BSW). Er riet zu Wiederauffrischungs-Lehrgängen und zu einem Fahrsicherheitstraining für Kraftfahrer. Am eigenen Leibe habe er dabei erfahren, »wie viel man schon wieder verlernt hat«. Nicht zuletzt das sensible Problem des Toten Winkels beim Rechtsabbiegen werde dabei bewusst gemacht.

Innenministerin Lange setzte hinzu, sie halte nichts von verpflichtenden Tauglichkeitsuntersuchungen für betagte Menschen. Ihr gehe es um Aufklärung, Wissensvermittlung und Überzeugungsarbeit.

3829 Radfahrer erlitten einen Verkehrsunfall, mehr als 3000 von ihnen verletzten sich dabei und damit vier Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Elf Radfahrer verunglückten tödlich. Die Hälfte der Unfälle, an denen Radfahrer beteiligt sind, haben sie selbst verschuldet.

Die Zahl der von Bäumen gesäumten Alleen in Brandenburg schwindet zwar, doch noch immer spielen sie in der Unfallbilanz eine bedeutende Rolle. Rund 1300-mal krachten Fahrzeuge an Bäume. Das waren immerhin elf Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Nach Auskunft des Polizeipräsidenten sind die Folgen solcher Zusammenstöße »dramatisch«. 32 Menschen verloren dabei ihr Leben. Ablenkung, eventuell durch ein Mobiltelefon und zu hohes Tempo seien die Hauptursachen dafür. 

Infrastrukturminister Tabbert erinnerte an die frühen 90er Jahre, als auf Brandenburgs Straßen fast achtmal mehr Menschen starben als heute. Mit etwas über 110 Verkehrstoten pro Jahr[3] sei inzwischen ein Sockel erreicht, der sich seit 2016 nur noch unwesentlich verändere. Viele Jahre lang lag Brandenburg deutschlandweit an der Spitze[4], was die Zahl der Verkehrstoten je 100 000 Einwohner betraf. »Heute liegen wir im Mittelfeld.«

Baustellen als Gefahrenquelle haben 2024 eine geringere Rolle gespielt als in früheren Jahren. Auch wenn es mitunter für Ärger sorge: Man gehe beim Straßenbau zur Vollsperrung über, weil das halbseitige Befahren ein höheres Risiko berge, sagte Tabbert.

Die Bußgeldeinnahmen haben sich im vergangenen Jahr auf 61 Millionen Euro belaufen, 2021 waren es noch 43 Millionen Euro. Die Steigerung wird auf verstärkte Kontrollen zurückgeführt, aber auch auf einen verschärften Bußgeldkatalog.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1148628.unfallbilanz-ruecksichtslose-raser.html?
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/121744.autofahren-bis-ins-hohe-alter.html?
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171132.verkehr-weniger-verkehrstote-hoehere-bussgeldeinnahmen.html?
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1082177.verkehrsunfallbilanz-in-brandenburg-menschen-starben-im-verkehr.html?