Eigentlich wollen wir alle nur das Gleiche. Ein schönes Zuhause, Harmonie und ein wohlwollendes Umfeld. Regisseurin Mary Bronstein gibt ihrer Hauptfigur genau das nicht und erzählt in einer Auch-das-noch-Manier von einer überforderten Mutter, die Erdung sucht und stattdessen eine fast zweistündige Panikattacke erleidet. Man muss den Film nicht mögen, um ihn schätzen zu können.
Nach »Yeast« (2008) meldet sich Mary Bronstein mit ihrem zweiten Spielfilm zurück. Auch dieses Mal steht eine Frau im Fokus. Rose Byrne brilliert als Linda, eine Frau, die von einer Krise in die nächste schlittert. Da bleibt kaum Zeit, um Atem zu holen. Die Kamera von Christopher Messina kriecht fast in Rose Byrne hinein, man sieht jede Pore ihres Gesichts. Mikroexpressionen zeigen, wie sich Linda fühlt. Sie ist verzweifelt, wütend, genervt.
Es ist nicht einfach, Linda zu folgen, die so laut ist wie ihr forderndes Umfeld. Ihre Tochter wird künstlich ernährt, hängt an einem Schlauch. Wenn sie wach ist, meckert sie oder will irgendetwas von ihrer Mutter. Sei es einen Hamster oder Pizza ohne Käse. Hauptsache, Aufmerksamkeit. Linda versucht es ihr recht zu machen.
Mary Bronstein findet expressive Bilder und Sounds, um Lindas Zustand zu beschreiben. Zum Beispiel ein schimmliges, dunkles Loch in ihrem Zuhause, das eine negative Faszination auf Linda ausübt; sie fühlt sich von der Leere angezogen, sieht darin ein ganzes Universum (von Problemen?), das immer größer wird. Man weiß irgendwann nicht mehr, was real ist, und was in Lindas Kopf passiert. Dann wirkt »If I Had Legs I’d Kick You« wie ein Horrorfilm. Nur dass eben der Alltag der Horror ist.
Die Hauptfigur ist dem Nervenzusammenbruch nah, und das bekommt das Publikum auch zu spüren. Lindas Tonlage ist zu hoch, zu laut. Ständig. Die Magensonde piept unaufhörlich, das Babyphone rauscht.
Linda ist Psychotherapeutin. Conan O’Brien spielt einen, dem sie sich immer wieder anvertraut. Einen bekannten Talkmaster dafür einzusetzen, ist eine geniale Idee, weil es sich fremd anfühlt, ihn so zu sehen. Es taucht auch Rapper A$AP Rocky auf, ein unterhaltsamer Typ, die Story bringt er aber nicht voran. Eine starke Inszenierungsentscheidung: Lindas Tochter hört man nur nölen, man sieht sie nicht. Kurzum: Ein recht guter Film, auf zwei Stunden gedehnt und mit einigen Leerstellen.
Den Titel »If I Had Legs I’d Kick You« wählte Mary Bronstein intuitiv, bevor sie mit der Arbeit am Drehbuch begann. Hat man den Film gesehen, fühlt man diesen selbst. Im Bauch, in den Ohren, im Kopf.
»If I Had Legs I’d Kick You«, USA 2024. Regie und Buch: Mary Bronstein. Mit: Rose Byrne, A$AP Rocky, Conan O’Brien, Danielle Macdonald, Ivy Wolk. 113 Min.
22.2., 19 Uhr, Uber Eats Music Hall; 23.2., 20.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele