nd-aktuell.de / 23.02.2025 / Berlin / Seite 1

Der vergessliche Staatsanwalt

Neukölln-Komplex: Matthias Fenner offenbart im Untersuchungsausschuss Erinnerungslücken zu rechter Anschlagsserie

Leonie Hertig
Im Untersuchungsausschuss sind Dokumente nicht auf das Gedächtnis der Zeugen angewiesen.
Im Untersuchungsausschuss sind Dokumente nicht auf das Gedächtnis der Zeugen angewiesen.

Matthias Fenner hat seit 2016 die Abteilung Staatsschutz bei der Berliner Staatsanwaltschaft geleitet, bei der auch eine rechte Anschlagsserie im Bezirk Neukölln landete. Im Sommer 2020 entzog Generalstaatsanwältin Margarete Koppers seiner Abteilung die Zuständigkeit für den »Neukölln-Komplex«. Es gab den Verdacht, Fenner sei befangen. Nachdem ein Neonazi von Fenner vernommen worden war, äußerte dieser in seinen Kreisen, von diesem Oberstaatsanwalt sei nichts zu befürchten, der stehe der AfD nahe. Wörtlich: »Die Staatsanwaltschaft ist auf unserer Seite. Der ist AfD.«

Fenner kann sich nach eigener Aussage nicht erklären, wie der Neonazi zu dieser Einschätzung gelangte. Am Freitag tagte der Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses zu Ungereimtheiten bei der Aufklärung der rechten Anschlagsserie. Dort beteuert Fenner, nichts gesagt oder getan zu haben, was sein Gegenüber dazu hätte veranlassen können, ihn derart einzuschätzen. »Das wäre auch ziemlich dumm von mir, wenn ich das getan hätte«, sagte Fenner. Mit grauer Jacke und weißem Hemd sitzt er im Ausschuss. Ruhig beantwortet er die ihm gestellten Fragen, wippt dabei allerdings nervös mit den Füßen.

Der rechten Terrorserie werden im Zeitraum 2009 bis 2021 unter anderem 23 Brandanschläge zugeschrieben, weiterhin zum Beispiel eingeworfene Fensterscheiben, Morddrohungen an Häuserwänden und das Schmieren von Hakenkreuzen. Zwei Täter sind verurteilt[1], das Urteil gegen sie ist allerdings noch nicht rechtskräftig[2]. Zu den Opfern der Anschlagsserie gehört die Familie des Abgeordneten Ferat Koçak[3] (Linke). So ist sein Auto abgefackelt worden.

Aus dem Landeskriminalamt gibt es Vorwürfe, die Abteilung von Fenner habe Fälle von Sachbeschädigung liegen gelassen und einzelne Taten nicht gebündelt behandelt. Es habe Differenzen mit Fenner gegeben. Er kann sich solche Anschuldigungen nicht erklären. Er entsinnt sich an konstruktive Gespräche zwischen seiner Abteilung und der Polizei. An irgendwelche Differenzen könne er sich nicht erinnern, sagt er am Freitag aus. Auch sonst hat sein Erinnerungsvermögen Lücken. Ihm wird die Zeugenaussage eines Beamten E. vom Landeskriminalamt vorgehalten. Der hatte gesagt: »Was ist denn mit dem nicht in Ordnung? Ist das ein AfD-Typ oder wie?« Und weiter: »Hier stimmt doch etwas nicht.« Auch das kann sich Fenner nicht erklären. Im übrigen verbinde er mit diesem E. kein Gesicht – obwohl E. ausgesagt hatte: »Wir haben regelmäßig zusammen gesessen.« Fenner sagt nur: »Regelmäßig, also, beim besten Willen kann ich mich nicht daran erinnern.«

An das Gespräch, bei dem ihm mitgeteilt wurde, dass seiner Abteilung die Zuständigkeit für die Anschlagsserie entzogen werde, erinnert sich Fenner zwar. Aber er glaubt, dass dort nicht gesagt wurde, die Polizei könne ihm nicht mehr vertrauen.

Polizisten haben als Zeugen im Untersuchungsausschuss ihren Eindruck geschildert, dass der Oberstaatsanwalt an der Verfolgung bestimmter Straftagen nicht interessiert gewesen sei und dass er dem Ersuchen, verdächtige Neonazis beobachten oder abhören zu dürfen, gar nicht oder sehr spät zugestimmt habe. Herr Fenner sagt jedoch: »Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, dass von der Polizei Kritik kam. Von niemanden ist irgendeine Kritik gekommen.«

Differenzen mit dem Landeskriminalamt komplett zu verneinen, dies sei eine seltsame Verteidigungsstrategie, meint der Abgeordnete Niklas Schrader (Linke). Die Grünen halten es für bemerkenswert, dass eine Anschlagsserie, die zur Umsetzung von Fenner führte, so wenig Erinnerungsvermögen bei diesem hervorrufe.

Fenner sagte im Untersuchungsausschuss auch: »Wenn Sie jetzt jede Hakenkreuzschmiererei als rechtsextrem erachten würden …« Niklas Schrader unterbrach ihn ungläubig: »Ja, das erachte ich. Sie nicht?!« Fenner entgegnet: »Also, ich habe schon mehrere Leute angeklagt, die sicher keine Rechtsextremisten waren und die Hakenkreuze geschmiert haben oder irgendwelche Parolen gerufen haben.«

»Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, dass von der Polizei Kritik kam.«

Matthias Fenner Oberstaatsanwalt

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187513.rechtsextremismus-neukoelln-komplex-haftstrafen-fuer-neonazis.html?
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187985.rechtsextremismus-neukoelln-komplex-urteil-nicht-rechtskraeftig.html?
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1186684.rechtsextremismus-neukoelln-prozess-oeffentlichkeit-gibt-sicherheit.html?