Demonstrierende gegen rechts – das sind für Friedrich Merz also »grüne und linke Spinner«[1]. In seiner Rede zum Wahlkampfende ließ der CDU-Politiker durchblicken, was er von unbequemen Initiativen und Aktivist*innen hält, die von ihrem Recht auf Protest Gebrauch machen[2]. Diese wiederum bereiten sich ihrerseits auf eine unbequeme Kanzlerschaft vor. »nd« hat bei den sozialen Bewegungen nachgefragt, wie sie auf einen künftigen Regierungschef Merz blicken.
Die Klimakrise spielte im Wahlkampf kaum eine Rolle[3]. Wenn Merz sich dann doch einmal zu einer Äußerung hinreißen ließ, sagte er Dinge wie: Windräder solle man wieder abbauen, »weil sie hässlich sind[4]«. Die Jugendorganisation Fridays for Future baut darauf, dass ein Kanzler Merz diese Rhetorik wieder deutlich zurückfährt. Denn: »Die plumpe Stimmungsmache gegen Windräder und Wärmepumpen hilft keiner einzigen Person mit finanziellen Sorgen[5] – sie führt nur zu weiterer Verunsicherung und Spaltung«, so FFF-Aktivistin Pauline Brünger.
Dabei würde sich die Mehrheit der Wähler*innen mehr Klimaschutz wünschen. »Damit diese Mehrheit bestehen bleibt, ist die neue Regierung in der Verantwortung, durch eine starke soziale Ausgestaltung immer wieder vom Klimaschutz zu überzeugen.« Das sieht Brünger auch als Aufgabe der SPD: »Sollte die Union an ihren zukunftsblinden Zerstörungsplänen festhalten, sind mögliche Koalitionspartner in der Verantwortung, für den Schutz von Menschen und Klima einzustehen.«
»Katastrophale Auswirkungen auf trans und queere Projekte« werde eine Kanzlerschaft Merz haben, meinen Luce DeLire und Juliana Franke vom Bündnis SBSG Selbstbestimmung Selbstgemacht[6] zu »nd«. Die CDU stehe vor allem für eine »radikale Kürzungspolitik« und nutze LGBTQ-Themen für den Kulturkampf. So sei auch Merz’ Äußerung zu verstehen, er habe Verständnis für Trumps Entscheidung, gesetzlich festzulegen, dass es nur zwei Geschlechter gebe.
Wie aber steht es um die wichtigste queerpolitische Errungenschaft der Regierung Scholz, das Selbstbestimmungsgesetz[7]? Laut ihrem Wahlprogramm möchte die CDU das Gesetz wieder abschaffen, dem zufolge der Geschlechtseintrag auch ohne herabwürdigende Gutachten geändert werden kann. »Mit einer Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes rechnen wir, zumindest vorerst, nicht«, so DeLire und Franke. Dafür erwarten sie eine Verschärfung der Inhalte: etwa eine Wiederherstellung der Begutachtungspflicht und die Einführung der Datenweitergabe von Personenstandsänderungen an alle Sicherheitsbehörden.
»Es wird jetzt auch darum gehen, mit Protesten und direkten Aktionen insbesondere die SPD dahingehend zu bearbeiten, queere und trans Themen nicht zur Verhandlungsmasse zu machen und sich den Forderungen der Union entgegenzustellen«, so DeLire und Franke. Auch der Verband Queere Vielfalt (LSVD) setzt auf die SPD als Korrektiv: »Aus unserer Sicht ist die SPD nun in der Pflicht, in den Koalitionsverhandlungen sicherzustellen, dass die zentralen queerpolitischen Anliegen im Koalitionsvertrag klar verankert werden.«
Die künftige Bundesregierung müsse außerdem ihrer Verantwortung gerecht werden und den queeren Afghaninnen und Afghanen, denen die Vorgängerregierung eine Rettung vor den Taliban in Aussicht stellte, eine Einreise nach Deutschland ermöglichen, so der LSVD.
Für Tareq Alaows, den flüchtlingspolitischen Sprecher des Vereins Pro Asyl, bestätigt das Wahlergebnis erneut, dass die Strategie, AfD-Forderungen zu übernehmen, die Partei nicht kleiner mache, sondern sie nur stärke[8]. »Man kann den Rechtsruck nur bekämpfen, wenn man an den Menschenrechten festhält, und nicht, wenn man sie zur Disposition stellt und außer Kraft setzt«, so Alawos. Deshalb fordert er eine Asyl- und Migrationspolitik, die sich an Rechtsstaatlichkeit und internationalen Vereinbarungen orientiert und Vorbild für weitere EU-Staaten sein kann.
Angesichts der rund 12 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die nicht wählen durften, weil sie keinen deutschen Pass besitzen, sagt Alaows: »Unsere Demokratie lebt davon, inklusiv zu sein!« Und weiter: »Vor allem bei Debatten, bei denen es um die Zukunft von Menschen geht, müssen ebendiese Menschen auch an den Demokratieprozessen beteiligt werden.«
Der Dachverband Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland (Damost) kritisiert, dass der komplette Wahlkampf auf das Thema Migration ausgerichtet war. »Wir sind es leid, dass migrantische Communitys zum Sündenbock für politisches Versagen gemacht werden«, so Rubén Cárdenas, Vorstandsvorsitzender von Damost. »Wir halten nicht weiter her für Krisen, die wir nicht verursacht haben.«
Doch für eine wirkliche Neugestaltung des gesellschaftlichen und politischen Zusammenlebens sei vor allem Selbstorganisierung notwendig – und gemeinsame Kämpfe jenseits der Parlamente. Ayman Qasarwa, Damost-Geschäftsführer, sagt dazu: »Für uns ist und bleibt es wichtig, antirassistische und soziale Bewegungen zu unterstützen, die sich für eine solidarische und diverse Gesellschaft einsetzen, in der migrantische und geflüchtete Menschen nicht unter sozialer Ausgrenzung und rassistischer Hetze leiden oder in stetiger Angst vor Abschiebung leben müssen.«
Auch die Umweltorganisation Robin Wood hob in einer Pressemitteilung die Bedeutung gesellschaftlichen Engagements[9] hervor: »Um den Einfluss der Rechtsextremen zurückzudrängen und die Demokratie zu schützen, brauchen wir jetzt umso stärkere Bündnisse zwischen Umwelt- und Klimabewegung sowie Sozialverbänden und Gewerkschaften, die sich Hass, Hetze und Gewalt auf allen Ebenen entgegenstellen.«
Es sieht also ganz danach aus, als ließen sich die Demonstrant*innen von den Verunglimpfungen des Herrn Merz nicht einfach so abschrecken. Vielleicht eignen sie sich die Beleidigung ja auch an. »Links-grün versiffte Spinner« – wie wäre es damit?