»Das war die erste Betriebsversammlung bei Stadler, in der sie eine Stecknadel hätten fallen hören können«, sagt Jan Otto. »Die Beschäftigten waren richtig schockiert.« Otto war als Vertreter der Gewerkschaft der IG Metall[1] am Montag im Fertigungswerk in Pankow dabei, als der Schweizer Zugbauer Stadler die Belegschaft über den künftigen Sparkurs informierte.
Wie das Unternehmen mitteilte, stünde Stadler in Deutschland unter erheblichem wirtschaftlichen Druck, »trotz guter Auslastung und wichtiger Zukunftsprojekte«. Deshalb müssten an den Standorten Berlin, Velten und Hennigsdorf in allen Bereichen Prozesse und Kostenstruktur angepasst werden. Stadler baut am deutschen Hauptstandort Pankow Züge für das Berliner S- und U-Bahn-Netz[2].
Mit der IG-Metall sei, anders als vereinbart, vorab nicht kommuniziert worden. Das »hat uns alarmiert und Vertrauen zerstört«, sagt der Erste Bevollmächtigte Jan Otto. Unter die angekündigten Sparmaßnahmen könnten laut »Berliner Zeitung«, die sich auf Unternehmenskreise beruft, Kürzungen beim Gehalt, den Zuschlägen oder Anpassungen bei den Arbeitszeit- und Pausenregelungen fallen. Stadler selber spricht von einem »signifikanten Arbeitnehmerbeitrag«, nur so könnte die Reduzierung von Arbeitsplätzen verhindert werden. Die Details seien Gegenstand der anstehenden Verhandlungen mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft.
»Ich setze mich nur an den Verhandlungstisch, wenn Teilschließungen des Betriebes und jeglicher Personalabbau vom Tisch sind.«
Jan Otto (IG Metall) Erster Bevollmächtigter
»Wer Industriearbeitsplätze von rund 1700 Beschäftigten in Gefahr bringt und mit Teilschließung droht, wird unseren erbitterten Widerstand zu spüren bekommen«, kommentiert Gewerkschafter Jan Otto das Sparprogramm von Stadler. Dem »nd« sagt Otto, er sei erst zu Verhandlungen bereit, »wenn Teilschließungen des Betriebes und jeglicher Personalabbau vom Tisch sind«.
Für Otto ist das eine Lektion aus zurückliegenden Auseinandersetzungen um den Erhalt von Standorten. So hatte die Gewerkschaft mit dem französischen Zugbauer Alstom einen Zukunftstarifvertrag abgeschlossen, mit dem sich die Belegschaften auf Lohnverzicht zugunsten Standort- und somit Jobsicherheit einließen. Doch Alstom ließ die vereinbarten Investitionen vermissen und verlagerte die Produktion weitestgehend nach Polen.
»Was uns bei Alstom passiert ist[3], darf und wird uns jetzt nicht noch einmal passieren«, sagt Otto. Sobald man Zugeständnisse beim Personal oder der Entlohnung mache, manövriere man sich selbst in eine Defensive, »die unsere Position langfristig schwächen würde und aus der ein Ausstieg aus der Abbaudynamik de facto unmöglich wäre«.
Ohnehin, sagt Otto, bestünde bei den Blöcken Lohn und Arbeitszeit kaum Spielraum. Die Beschäftigten würden noch immer fünf Prozent weniger verdienen und drei Wochenstunden mehr arbeiten als Beschäftigte, für die der Flächentarif gelte. Insofern müssten eigentlich langfristige Vereinbarungen darüber getroffen werden, wie endlich eine Angleichung erreicht werden kann. »Für eine begrenzte Zeit halte ich unter dieser Voraussetzung Zugeständnisse für möglich, sofern unsere Mitglieder das mittragen und uns dafür beauftragen«, sagt Otto.
Stadler leidet laut Angaben des Deutschland-Geschäftsführers Jure Mikolčič unter einer ungünstigen Verkettung aus den »Folgen des Zusammenbruchs der Lieferketten infolge der Pandemie, dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und den daraus resultierenden Preissteigerungen für Energie und Rohmaterial«. Die daraus folgende Inflation habe zu höheren Gehältern geführt. Stadler spricht zudem von »globalen Verwerfungen« und der »Tendenz zur Deindustrialisierung in Deutschland«.
In welcher Höhe Einsparungen notwendig und welche konkreten Maßnahmen geplant sind, wollte Stadler auf nd-Anfrage nicht beantworten. Es würde aber Effizienzsteigerung entlang der gesamten Wertschöpfungskette angestrebt, um »Stadler in Deutschland langfristig zu stärken und für den international harten Konkurrenzkampf wettbewerbsfähiger zu machen«.
Auch die IG Metall spricht von einer angespannten wirtschaftlichen Situation am Standort. Es bestehe durchaus Handlungsbedarf. Allerdings brauche man erst mal einen detaillierten Einblick in die Bilanz und eine Rückmeldung von den Mitgliedern. »Dann werden wir mit eigenen Vorschlägen und Gegenforderungen der Geschäftsführung gegenübertreten können«, sagt Jan Otto. Er halte es für denkbar, dass es beispielsweise günstiger sei, »Arbeit, die jetzt per Werkvertrag und Leiharbeit externalisiert ist, wieder ins Unternehmen zu holen«. Und generell, sagt Otto, müsse Stadler weniger spezialisiert und mehr über standardisierte Kataloge fertigen.
»Um unsere Position im Einsatz für den Berliner Standort zu stärken, brauchen wir jetzt konkrete Bekenntnisse vom Land Berlin, auch um den Eigentümer zu einer möglichst uneingeschränkten Zusage zu bewegen«, sagt Otto. Das könnte Versprechungen von künftigen Aufträgen umfassen, aber auch ein Entgegenkommen bei den Maluszahlungen – Strafen, die das Unternehmen an das Land zahlen müsse, wenn Vereinbarungen nicht eingehalten oder Produktionsmängel zu Reparaturen und Verzögerungen führen würden.
Stadler will weiter »aus Berlin für Berlin« produzieren, erklärt das Unternehmen. Seit 2001 habe man die Belegschaft von 197 auf rund 2000 Mitarbeiter*innen vergößert. Ende 2023 sind laut »RBB« 95 Millionen Euro für die Werkserweiterung in Pankow investiert worden. Für einen weiteren zweistelligen Millionenbetrag baut Stadler in Hennigsdorf ein Inbetriebnahmezentrum.