Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg muss sich mit einem Streit zwischen der Freien Universität (FU) Berlin und der Gewerkschaft Verdi beschäftigen. An der FU waren Beschäftigte der Verdi-Betriebsgruppe abgemahnt worden[1], weil sie in einem Aufruf für eine Kundgebung gegen den Rechtsruck auch die FU kritisiert haben. Das Arbeitsgericht Berlin lehnte eine Klage gegen die Abmahnung eines Beschäftigten ab und wertete den Aufruf als »Schmähkritik«. Das betroffene Verdi- und Personalratsmitglied hat nun Berufung eingelegt.
In dem strittigen Aufruf zu einer Kundgebung vor etwa einem Jahr hatte die Verdi-Betriebsgruppe der FU vorgeworfen, für den Rechtsruck Verantwortung zu tragen. Beispiele seien, dass Tarifverträge nicht eingehalten und die Mitbestimmung an der FU[2] bekämpft worden sei. »Im Ergebnis fördert auch die FU damit den Rechtsruck und den Aufstieg der AfD, denen gewerkschaftliche Organisierung ebenfalls ein Dorn im Auge ist«, heißt es im Aufruf.
Das FU-Präsidium[3] reagierte mit einer Gegendarstellung und der Abmahnung von Vorstandsmitgliedern der Betriebsgruppe. In einem Fall ist das Verfahren am Arbeitsgericht durch die Abweisung einer Klage gegen die Abmahnung beendet worden. Dem betroffenen Gewerkschafter wirft die FU laut Arbeitsgericht »ehrverletzende Kritik, die eine Verletzung der Treue- und Loyalitätspflicht zum Arbeitgeber« darstellt, vor.
Das Arbeitsgericht schloss sich der FU an und bezeichnet die inkriminierte Passage als eine »vom Schutz der Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz nicht gedeckte Schmähkritik«. Dem widersprechen die beiden Anwälte des Verdi-Mitglieds, Benedikt Hopmann und Reinhold Niemerg, in einer ausführlichen Stellungnahme zur eingelegten Berufung. »Das Arbeitsgericht übergeht in leichtfertiger Weise den Umstand, dass der Verdi-Betriebsgruppenvorstand auf der Grundlage von Tatsachen argumentiert hat und die von ihm in Bezug genommenen Tarifverstöße der FU Berlin ausnahmslos dokumentiert sind.«
Die Arbeitsrechtler gehen auf verschiedene Auseinandersetzungen zwischen den Beschäftigten und der FU-Leitung ein. »Schon im Jahr 2021 hatte die Verdi-Betriebsgruppe der FU festgestellt, dass den Beschäftigten der Veterinärmedizin[4] bis dato seit Jahren zustehende tarifliche Zuschläge unter anderem für Überstunden, Schicht- und Wechselschichtarbeit sowie Sonntagsarbeit vorenthalten worden waren«, heißt es in dem Text des Juristenduos. Dabei geht es um eine langwierige Auseinandersetzung, die auch das Berliner Abgeordnetenhaus beschäftigte.
Die Anwälte zitieren auch eine Frage, die die Verdi-Betriebsgruppe bereits im August 2023 in einem offenen Brief an den FU-Präsidenten gestellt hat: »Welche Handlungsmöglichkeiten haben die Beschäftigten neben dem Klageweg, wenn Tarifverträge zwar ausgehandelt, dann aber in ganzen Bereichen bewusst nicht umgesetzt werden?« Hier schließt sich der Bogen zum Aufruf der Verdi-Betriebsgruppe, die auf den Zusammenhang von rechten Einstellungen und der erlebten Handlungsfähigkeit am Arbeitsplatz verwies. »Dieser Zusammenhang ist wissenschaftlich gut belegt; zuletzt in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung von 2021 zu antidemokratischen Einstellungen und der Arbeitswelt«, heißt es in einer Stellungnahme von Verdi Berlin. Die Gewerkschaft will die Kolleg*innen an der FU auch weiterhin bei der juristischen Auseinandersetzung unterstützen.
Anlass für den strittigen Aufruf der Verdi-Betriebsgruppe war eine Kundgebung vor dem Bundestag gegen den Rechtsruck in Deutschland am 3. Februar 2024. Es war die Zeit nach dem Bekanntwerden eines rechten Geheimtreffens von Mitgliedern von AfD, Werteunion und Wirtschaft. Dagegen sind vor einem Jahr in der ganzen Republik Hunderttausende auf die Straße gegangen.
Die Freie Universität erklärte »nd«, sich zu laufenden Verfahren nicht zu äußern und deshalb keine Stellungnahme abgeben zu können.