Bei Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt[1] scheint das Land Berlin endlich einen guten Schritt voranzukommen. Den seit langen geplanten behördenübergreifenden Fallkonferenzen steht nichts mehr im Weg. Das teilen die Senatsverwaltungen für Inneres und Soziales auf eine Anfrage von »nd« mit. Die datenschutzrechtlichen Bedenken seien ausgeräumt. Bereits im März könnten die ersten Fallkonferenzen[2] stattfinden. Darüber hinaus plant der Senat eine Novelle des Polizeigesetzes, um die elektronische Fußfessel als Gewaltschutzmaßnahme einzuführen.
Bei Hochrisikofällen gelten die Fallkonferenzen als wichtiger Baustein, um Informationen von verschiedenen Behörden und Schutzeinrichtungen zusammenzuführen, Gefährdungslagen und Handlungsnotwendigkeiten rechtzeitig zu erkennen. Der Senat sieht in ihnen zudem einen Schritt, um die Vorgaben der sogenannten Istanbul-Konvention der Europäischen Union zu erfüllen. Mit der Unterzeichnung verpflichtet sich Deutschland, entschieden gegen häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt vorzugehen.
Von Gewalt betroffene Frauen seien häufig in Kontakt mit verschiedenen Stellen, hatte Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) anlässlich des internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen im November die Fallkonferenzen begründet. »Sie suchen Schutz im Frauenhaus, Unterstützung bei einer Beratungsstelle, sprechen mit dem Jugendamt oder erwirken gerichtliche Gewaltschutzanordnungen«, erklärte die Sozialsenatorin. Überall dort könne es Hinweise auf einen drohenden Femizid – einen im Geschlecht der Frau begründeten Mord[3] – geben. Fallkonferenzen mit all diesen Beteiligten gäben dem Senat die Möglichkeit, diese Hinweise zu einem Gesamtbild zusammenzuführen, sagte Kiziltepe. Sie könnten »also tatsächlich das Leben von Frauen retten«, so die SPD-Politikerin.
Was in anderen Bundesländern wie Bremen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen bereits Realität ist, wurde in Berlin bis zuletzt von datenschutzrechtlichen Bedenken verhindert. »Es ist wichtig, dass keine Daten hinter dem Rücken der betroffenen Frauen ausgetauscht werden«, hatte Berlins Datenschutzbeauftragte Meike Kamp erklärt. Laut einem Sprecher der Sozialverwaltung liegt nun ein Gutachten vor, das Fallkonferenzen »auf der geltenden Rechtslage in Berlin datenschutzkonform« für durchführbar erklärt. »Die multi-institutionellen Fallkonferenzen können beginnen«, teilte der Sprecher mit.
Damit die Fallkonferenz zustande kommen kann, müssen die beteiligten Akteure einen »Hochrisikofall« feststellen. Dieser könne durch verschiedene Risikofaktoren geprägt sein, darunter »wiederholte Gewaltanwendung«, eine »Eskalation der Gewalt« sowie eine »Selbsteinschätzung«, dass sich die betroffene Person mit dem Tode bedroht fühlt. Das Risiko würde unter Verwendung von international anerkannten Checklisten und Katalogverfahren eingeschätzt.
An der Konferenz dürften dann »all die Akteure teilnehmen, die relevante Informationen zur Gefährdungslage der betroffenen Frauen und Kinder haben«. Erst vor diesem Hintergrund dürften personenbezogene Daten ausgetauscht werden, erklärte die Sozialverwaltung.
Als weitere Maßnahme will der Senat die elektronische Fußfessel ermöglichen. Sie werde sich weiterhin dafür einsetzen, »dass in Fällen mit einem hohen Gewaltrisiko eine elektronische Fußfessel Anwendung finden kann«, erklärte die Sozialsenatorin Kiziltepe. Hierfür will der Senat Kiziltepe zufolge das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz ändern, das die Kompetenzen und Befugnisse der Berliner Polizei regelt. Auch die Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) setzten sich dafür ein. Die frauenpolitische Sprecherin der Linken Ines Schmidt sagt, neben Fallkonferenzen könnten Fußfesseln »ein Puzzlestück« zum Schutz von Frauen gegen gewalttätige Männer sein.