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17. Februar 2025: Der Waffenstillstand hält! Und: Die Weltgesundheitsorganisation hat Qais, den verletzten Sohn meines Freundes Deeb, jetzt ganz oben auf der Transferliste! Israel habe endlich genehmigt, ihn aus Gaza ausreisen zu lassen. Er und seine Familie mussten sehr früh aus ihrem Lager ins Krankenhaus nach Khan Yunis, um von dort weitertransportiert zu werden, zum Grenzübergang Rafah nach Ägypten. Ich fahre sozusagen luftlinienparallel mit dem Bus nach Eilat zur südlichsten Spitze, um ihnen von der anderen Seite entgegenzukommen.
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Bus biegt ab im Kreisverkehr mit sehr vielen gelben Stühlen ringsherum. Ein jeder steht für eine der Geiseln, ob befreit, in Gefangenschaft oder für tot erklärt. Gesetzte Zeichen. Frei gehaltene Plätze. Denke dauernd das Wort »Verfallsdatum«. Wüstenartiges Brockenland. Hügel. Im Reisebus merkt man den Crossing-Point zum Westjordanland kaum.
Keine Nachricht von Deeb und Qais. Sind sie noch in Khan Yunis, Gaza? Oder schon auf dem Weg nach Rafah? Erstmals macht der Koffer wieder Sinn, den ich ihnen aushändigen möchte, denn sie haben jetzt so gut wie nichts. Für sie ist es eine Reise von 20 Kilometern nach Rafah. Für mich (mit allen Umwegen, Grenzen und verbotenen Straßen) eine von mindestens zwei Tagen.
Der Bus hält an der Tankstelle gegenüber der Dead Sea Mall, einer Shopping-Meile am Toten Meer. Hinter dem Meer, hinter Zohar graben sich Dämme in die türkishellblaue Pfütze hinein. Merkt man den Grenzübergang nicht, weil so viele in Israel diese Grenzen missachten? Donald Trumps neuer israelischer Botschafter, ein evangelikaler Fernsehmoderator, erkennt nicht mal an, dass es Palästinenser gibt, geschweige denn eine Westbank.
»You want pipi?«, unterbricht der Busfahrer meine Gedanken.
Ja. Klospülung heißt auf Hebräisch »Niagara«.
Säße gerne hier vor dem Meer, das genau genommen keines ist, sondern ein See. Alles wie ausgestorben.
Ein umgekipptes Dixie-Klo sieht aus wie ein vom Himmel gefallenes Shuttle. Rostige Mülltonne mit Graffiti, das »Free Hersh« fordert. Hersh war eine der Geiseln, die längst tot sind. Sah sein Bild am Samstag auch auf dem Hostages Sqaure in Tel Aviv in der jubelnden Menge. Bin fast gerührter von der zu späten Schrift in der Wüste als vom Rummel der Massenveranstaltung.
Mondlandschaftsartige Brachen mit den Ausläufern des Toten Meeres im Hintergrund. Dann rostige Industrieanlagen. Das weiße Salz sticht bergeweise ins Auge. Erinnere mich daran, dass es tatsächlich brennt, wenn man etwas davon ins Auge bekommt. Felsen in der Wüste wirken wie vertrocknete ehemalige Sandburgen, die ein Riese aus Spaß zertreten hat. Ein anderer kleckerte daran weiter. Irgendwer will immer was. Treten, kleckern, weiterbauen.
Laut Thora soll man alle sieben Jahre seine Äcker brach liegen lassen, damit sich das Land erholt und damit ärmere Leute, Diener und Sklaven sich die wild wachsenden Früchte nehmen können. Und jedes siebte dieser Jahre, in denen das Land brach liegt – sprich: nach 49 Jahren –, ist ein Jubeljahr, in dem man seine Salz- und Magnesium-Abbaulizenzen, seine Fabriken für Wellness-Produkte und seine Ländereien einem anderen überlassen soll. Einer anderen jüdischen Familie? Einer palästinensischen? Donald Trump?
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Geografisch gesehen bin ich jetzt schon viel weiter als Deeb und Qais. Dennoch hinke ich hinterher. Es ist wie mit Achilles und der Schildkröte. Die Schildkröte ist schneller, weil Achilles in die andere Richtung läuft. Einmal um die Welt. Achilles bin ich nicht. Er hatte keinen rosa Rollkoffer bei sich. Ich bin die Schildkröte, die in die falsche Richtung läuft.
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