Arye Shalicar: Hass auf mediale Israel-Kritik

Der israelische Militärsprecher Arye Shalicar attackiert seit Tagen deutsche Journalisten

Arye Shalicar (hier mit Robert Habeck) soll den Deutschen Israels Gaza-Krieg erklären.
Arye Shalicar (hier mit Robert Habeck) soll den Deutschen Israels Gaza-Krieg erklären.

Arye Sharuz Shalicar gilt als deutsches Gesicht der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF). In Berlin aufgewachsen fungierte der inzwischen in Israel lebende Major lange Zeit als einer ihrer offiziellen Sprecher, bevor er 2017 in die Reserve ging. Am 7. Oktober 2023 wurde Shalicar erneut einberufen. Bis Ende Dezember sei er im Dienst gewesen, seitdem »immer mal wieder, wenn ich gebraucht werde«, sagte er dem »nd«. Die IDF bestätigt diese Angaben.

Der 48-Jährige soll der deutschen Öffentlichkeit Israels Perspektive auf den Gaza-Krieg erklären und betreibt dazu einen Newsletter und produziert einen Podcast mit dem Titel »Kriegsbericht aus Israel«. Darin thematisiert der Medien-Reservist allerdings vornehmlich den Krieg in Palästina und dämonisiert die Bewohner*innen des Gazastreifens: Kein einziger Palästinenser habe Geiseln gerettet – im Gegensatz zu Deutschen, die im Nationalsozialismus Juden halfen, schrieb Shalicar auf X.

Auf dem Kurznachrichtendienst ist der IDF-Sprecher besonders präsent. In seinen auf einem privaten Account geposteten Beiträgen finden sich Schmähungen und Kraftausdrücke. Vergangene Woche brandmarkte Shalicar dort neben einer Mera25-Politikerin und einer Streamerin mehrere deutsche Journalist*innen als »Top-10 Verbreiter von Judenhass«. Unter ihnen sind der Deutsche Welle-Korrespondent Martin Gak, der Fernsehjournalist Stephan Hallmann sowie der Videoblogger Tilo Jung – allesamt bekannt dafür, sachlich, aber auch mit palästinensischen Perspektiven auf den Gaza-Krieg zu berichten.

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Die Diffamierung Shalicars bezog sich nicht auf Inhalte, welche die Journalist*innen selbst auf X veröffentlicht hatten: Als Beleg für einen »Hass gegenüber den Juden« wertet der Militärsprecher vielmehr deren Schweigen zu den am 7. Oktober von der Hamas als Geiseln genommenen Shiri Bibas und ihren kleinen Söhnen Ariel und Kfir, deren sterbliche Überreste im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens kürzlich an Israel übergeben wurden. Während die Hamas einen israelischen Luftangriff für ihren Tod verantwortlich macht, behaupten IDF-Sprecher, die Drei seien von ihren palästinensischen Entführern »mit bloßen Händen ermordet« worden. Auch die Angehörigen sprechen von Ermordung, Details einer Autopsie wollen sie aber nicht veröffentlicht sehen. Die Familie fordert, dass die Regierung die gerichtsmedizinischen Informationen nicht für Propagandazwecke ausnutzt.

Am Mittwoch, als die Bibas-Familie in Israel beerdigt wurde, legte Shalicar auf X nach, nannte die Journalist*innen »häßliche Menschen«, »widerlicher antisemitischer Sumpf« und forderte: »Spült sie an den Rand der Gesellschaft.« Shalicar sieht darin keine Beleidigungen. Auf die Frage, warum er seine Kritik nicht sachlich vorträgt, sagt er: »Ich bin ein freier Mensch, der zum Glück in einem demokratischen Staat lebt (Israel) und keinen Maulkorb aufgedrückt bekommt, wie es leider immer öfter der Fall ist in meinem Geburtsort Deutschland.« Ein Mäßigungsgebot, wie es in Deutschland laut dem Beamtengesetz für Bundesbedienstete gilt und diese auch privat zur Zurückhaltung bei dienstlichen Themen anhält, gibt es in Israel nicht.

Zu den »Judenhassern« zählt Shalicar auch die freie Autorin Kristin Helberg, die unter dem Motto »Zeit zu reden« eine Veranstaltungsreihe zum Gaza-Krieg und Antisemitismus in Berlin initiierte, bei der unterschiedliche, auch gegensätzliche Perspektiven zu Wort kommen. Ebenfalls auf Shalicars Liste erscheint der unter anderem bei der »Junge Welt« schreibende Autor Jakob Reimann, der früher beim »nd« tätige Fabian Goldmann sowie Hanno Hauenstein, der aufdeckte, wie der Springer-Konzern am Verkauf von Häusern in illegal errichteten Siedlungen im Westjordanland profitiert.

Neben dieser vielbeachteten Recherche für das Magazin »The Intercept« publiziert Hauenstein gelegentlich auch im »nd«. Vor einem Jahr führte er ein Gespräch mit der UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese. Für Shalicar eine Unperson: Nachdem Albanese im vergangenen Sommer zustimmend auf den Beitrag eines Nutzers reagierte, der ein Foto von Adolf Hitler und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zeigte, forderte der deutsche IDF-Sprecher ihre Entlassung »mit einem deftigen A***tritt«.

Shalicars Attacken lösen bei den Betroffenen Besorgnis aus. Martin Gak äußerte auf X, er empfinde die Liste »als eine Bedrohung meiner körperlichen Unversehrtheit«. Jakob Reimann charakterisiert dies auf »nd«-Anfrage als eine »öffentliche Feindesliste missliebiger Kritiker«. Hanno Hauenstein spricht gleichfalls von einer »Feindmarkierung«.

»Auf wen sollen wir uns angesichts solch offener Diffamierungen wie von Shalicar noch verlassen?«

Hanno Hauenstein, Freier Autor

Die zwei großen deutschen Mediengewerkschaften wollen sich nicht zu der Sache äußern. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) habe sich von X zurückgezogen und den Beitrag von Shalicar deshalb nicht wahrgenommen, teilte ein Vertreter des Bundesvorstands mit. »Auf das Posting werden wir in X auch nicht reagieren«, heißt es lapidar. Ähnlich knapp antwortete der Deutsche Journalisten-Verband (DJV): »Uns liegen dazu leider keine eigenen Erkenntnisse vor. Daher können wir den Sachverhalt derzeit auch nicht kommentieren«, erwiderte eine Sprecherin.

»Journalist*innen auf eine Liste der ›Top-10 Verbreiter von Judenhass‹ zu setzen und so an den öffentlichen Pranger zu stellen, ist eine eklatante Grenzüberschreitung«, konstatiert hingegen ein Vertreter der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen. »Journalistische Arbeit darf und soll kritisiert werden, aber nicht mit solchen hetzerischen Methoden«, betont die Nichtregierungsorganisation.

»Auf wen sollen wir uns angesichts solch offener Diffamierungen wie von Shalicar noch verlassen?«, fragt Hanno Hauenstein wegen der ausbleibenden Reaktion der Gewerkschaften DJU und DJV. Shalicars Liste sei »nur ein Fall von vielen«, konstatiert Fabian Goldmann. Tagtäglich seien Journalist*innen, die »akkurat« über die Ereignisse in Nahost berichten wollen, in Deutschland Anfeindungen und Kampagnen ausgesetzt.

Shalicar unterstellt der kritischen deutschen Berichterstattung zum Gaza-Krieg immer wieder Antisemitismus. »Früher hieß es, ›die Juden sind schuld!‹. Jetzt sagt man: ›Israel ist schuld!‹«, postete er als Zustimmung zu einem Beitrag des als Islamkritiker bekannten Ahmad Mansour zu den Waffenstillstandsverhandlungen auf X.

Autor Hauenstein sieht in der Gleichsetzung von Israel-Kritik und Antisemitismus eine »gezielte Verwässerung und Instrumentalisierung des Begriffs zur politischen Denunziation«. Angesichts des rasant wachsenden Antisemitismus in Deutschland und weltweit hält er das für »hochgefährlich«. »Wenn Kritik an Israels Vorgehen in Gaza als antisemitisch gilt, kann das den falschen Eindruck erwecken, dass Antisemitismus womöglich gar nicht so schlimm ist.«

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