Chris Imler: »Ich tanze auch zu Boney M. bei der Feuerwehr«

Ein Gespräch mit Chris Imler, der gerade das Album »The Internet Will Break My Heart« veröffentlicht hat

  • Interview: Libia Caballero Bastidas und Luca Glenzer
  • Lesedauer: 6 Min.
Mach mehr aus deiner ADHS: Chris Imler
Mach mehr aus deiner ADHS: Chris Imler

Sie sind Anfang der 80er Jahre von Augsburg, Ihrer Heimatstadt, nach Westberlin gezogen. Damals wie heute wohl der größtmögliche Gegensatz, oder?

Ja! Ich bin mitten im Stadtzentrum, im Schlagschatten des Augsburger Doms, aufgewachsen. Meine Familie war dann auch noch katholisch, weshalb ich auch Ministrant war. In der Schule war ich total schlecht. Mit ADHS und totalen Konzentrationsschwierigkeiten war ich deshalb schnell als Zappel-Philipp gebrandet. Das Beste war die Bibliothek – dort gab es Bluesplatten, zum Beispiel von Robert Johnson. »I’m standing at the corner with my suitcase in my hand.«

Ist Chris Imler im Herzen also ein Blueser?

Interview

Der Schlagzeuger und Sänger Chris Imler ist der unbekannteste Popstar Berlins. Er spielt(e) unter anderem mit Jens Friebe, Peaches und in den Bands Golden Showers, Die Türen und Oum Shatt. Jetzt ist mit »The Internet Will Break My Heart« sein viertes Soloalbum erschienen.

Nein, nein! Für kurze Zeit dachte ich zwar, ich werde Bluesmusiker, aber schon kurz darauf hatte ich mit Bluesmusik nicht mehr viel am Hut. In den 80er Jahren wurden die Bluesplatten mit Hochglanztechnik aufgenommen, das passte für mich nicht zusammen – ähnlich wie ein Schrottplatz mit glänzenden Autos. Blues muss dreckig und rostig klingen, sonst macht er keinen Sinn.

Das scheint in ähnlicher Weise auch für Ihre Musik zu gelten, oder?

Ja, ich habe ein Faible für kaputte Sachen. Die bleiben irgendwie immer up-to-date, jedenfalls für mich, denn sie unterwerfen sich keiner Optimierungslogik. Ähnlich wie das erste Album von The Velvet Underground: Das habe ich als Jugendlicher durch meinen langhaarigen, Parka tragenden Cousin kennengelernt. Ich dachte nur: Wow, was ist das schräg! Und auch heute noch klingt es sehr modern.

Haben Sie in Ihrer Augsburger Zeit bereits Schlagzeug gespielt?

Ja, das fing relativ früh an. Den Anfang hat es auf einer Jazzmesse genommen, da habe ich mich zum Tambourinspieler hochgeschuftet. Die haben dann schnell gemerkt, dass ich ein gewisses rhythmisches Talent mitbringe. Kurz darauf habe ich dann das erste Schlagzeug bekommen und angefangen, in einer Schülerband zu spielen.

Woher kam die Verbindung nach Westberlin?

Mein Bruder hatte damals dort studiert, und bei meinen Besuchen habe ich dann die Stadt kennengelernt. Als ich dann hingezogen bin, habe ich angefangen, in Garage-Bands zu spielen.

Wie sah die Stadt damals aus?

Es war ein verrückter Spielplatz. Die Atmosphäre war irgendwie sehr künstlich, nicht in dem Maße über lange Zeit gewachsen wie an anderen Orten. Alle, die dort waren, haben sich entweder vor der Bundeswehr gedrückt oder haben es nicht mehr in der Provinz ausgehalten – eine gute Mischung also! Man konnte alles Mögliche für wenig Geld machen. Und es gab die ganzen Auseinandersetzungen mit dem System – anders als heute, wo es mehr darum geht, den Status quo und die paar Errungenschaften, die es gibt, zu verteidigen. Und die Kulturwelt war, im Vergleich zu heute, noch weniger warenförmig.

(Im Hintergrund der Neuköllner Kneipe, wo dieses Interview stattfindet, läuft »Money, Money, Money« von Abba, Chris Imler singt kurz mit)

Was von damals erkennen Sie in der Stadt von heute noch wieder?

Es ist zwar ein oller Begriff mittlerweile, aber ich finde, es gibt schon so etwas wie eine DNA der Stadt: das Hedonistische, das Räudige, auch das Verschwenderische. Das gab es schon in den 1920ern und das gibt es auch noch heute, auch wenn es mittlerweile anders aussieht als vor 20, 40 oder 100 Jahren. Früher dachte ich, so etwas wie Gentrifizierung komme irgendwann an ein natürliches Ende. Heute weiß ich: Es gibt kein Ende. Die Gentrifizierung und Kommodifizierung hört nie auf, sie kommt in Wellen und immer wieder. Und wir im Kulturbetrieb, wir sind alle Antreiber dieses Prozesses, auch wenn wir gegen ihn ansingen.

So wie Sie auf ihrem neuen Album »The Internet Will Break My Heart«?

Genau. Alles dreht sich heute um Algorithmen, die von Wirtschaftsunternehmen kreiert werden, die sicherlich vieles im Sinne haben, nur nicht das Gute im Menschen zu fördern. Stattdessen werden unsere Bedürfnisse marktförmig schubladisiert und unsere niederen Instinkte ausgebeutet. Das ist eine krasse Marktdiktatur. Ich merke es ja auch bei mir selbst: Früher habe ich auf der Toilette irgendwelche Comics oder Bücher gelesen. Heute gehe ich – so wie wahrscheinlich jeder andere Mensch auch – nicht mehr ohne Handy aufs Klo. Ich glaube, ohne mein Smartphone könnte ich gar nicht mehr kacken.

Ihr Solodebüt aus dem Jahre 2014 heißt »Nervös«. Ist Musik von Chris Imler ohne Nervosität als Grundzustand überhaupt denkbar?

Das ist ein bisschen so wie die Frage: Ist ein Leben ohne Robben für Eisbären möglich? Wobei: Die jagen mittlerweile auch Karibus, habe ich neulich durch ein Reel erfahren. Um auf die Frage zurückzukommen: Nein, mein kreatives Schaffen wäre ohne Nervosität und mein ADHS nicht möglich. Ich denke, sie ist auch ein wesentlicher Grund dafür, warum man mich so schlecht schubladisieren kann. Ich schaue immer nach links und rechts, aggregiere völlig Gegensätzliches zu etwas Neuem. Mich interessieren immer viele Dinge gleichzeitig, sodass es mir schwerfällt, mich nur auf eine Sache zu fokussieren. (Im Hintergrund kommt ein Song der Scorpions). Jetzt laufen auch noch die Scorpions. Die haben auf jeden Fall kein ADHS, das kann man hören…

Zum Zeitpunkt des Erscheinens von »Nervös« waren Sie bereits Mitte 50. Warum haben Sie eigentlich so spät begonnen mit Ihrem Soloprojekt?

Lange Zeit war das kein Thema, allein auf der Bühne zu stehen. Die Idee ist eigentlich erst im Rahmen eines Daniel-Johnston-Tributes entstanden, das war mehr als zehn Jahre vor meiner ersten Platte, Anfang der 2000er. Ich wurde gefragt, ob ich was beisteuern möchte. Und ich so: Okay, mache ich. Damals hatte ich einen neuen Sampler und habe den mit meinem damaligen Schlagzeugset kombiniert und dann einen Song von Johnston relativ frei interpretiert. Das kam damals ziemlich gut an.

In der Rockabilly- und Garage-Szene, in der Sie sich vorher mit ihrer Band Golden Showers bewegt haben, kam die Verbindung von analogen und elektronischen Elementen sicherlich nicht überall gut an, oder?

Stimmt, die Rockabilly-Kultur kann sehr engstirnig sein, aber das war mir egal. In Berlin fing es ja schon in den frühen 80er Jahren an mit Techno, und ich hatte da nie wirkliche Berührungsängste, im Gegenteil. Das Loopige und Repetitive, auch das Hypnotische ist für mich sehr anschlussfähig an das, was ich in meiner Kindheit und Jugend schon am Blues und später in den 90ern an Jungle und Drum’n’Bass gemocht habe. Generell habe ich keine Berührungspunkte gegenüber Musik verschiedenster Couleur: Wenn es sein muss, tanze ich auch zu Boney M. auf dem Ball der freiwilligen Feuerwehr. Ich finde es in musikalischer Hinsicht spannend, aus Limitierungen, die man sich selbst auferlegt hat, immer wieder auch auszubrechen. Gerade arbeite ich zum Beispiel an so was wie Emo-Songs, in denen es um große Gefühle geht.

Chris Imler: »The Internet Will Break My Heart« (‎Fun in the Church/H’art)

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