Peter Tschentschers[1] markantes Gesicht strahlt einen derzeit bei jedem Gang durch die Stadt an, auf seinem Wahlplakat steht: »Hamburg[2] vereint«. Der Sozialdemokrat wurde im März 2018 zum Bürgermeister gewählt, nachdem sein Vorgänger Olaf Scholz als Finanzminister in die Bundesregierung gewechselt war. Zuvor war Tschentscher unter Scholz Finanzsenator. Von Beruf Arzt, redet er bedächtig und pflegt sein Image als nahbarer Politiker.
Anders als der als Bundeskanzler abgewählte Scholz ist Tschentscher beliebt. Die Mehrheit der Hamburger*innen bescheinigt ihm und dem rot-grünen Senat, gut zu arbeiten. So ist es nicht verwunderlich, dass allen Umfragen zufolge keine Wechselstimmung existiert. Vermutlich wird es nach der Bürgerschaftswahl [3]am kommenden Sonntag erneut eine Landesregierung der beiden Parteien geben, auch wenn sie mit Verlusten rechnen müssen.
Die Zustimmung bei der letzten Wahl 2020 war mit 63,4 Prozent für SPD und Grüne zusammen aber so groß, dass trotzdem eine Mehrheit der Mandate in Aussicht ist. Vor fünf Jahren hatte die SPD 39,2 Prozent der Stimmen erhalten, jetzt werden ihr 32 Prozent vorhergesagt. Die Grünen hatten 24,2 Prozent und können mit 18 Prozent rechnen. Während bei den letzten Wahlen CDU, FDP und AfD zusammen auf weniger Stimmen kamen als die Grünen allein, holt die CDU jetzt auf: Von elf Prozent 2020 auf 17 aktuell.
Wenn es ernst wird, ordnen sich die Hamburger Grünen unter: Sie haben etwa der Privatisierung von 49 Prozent des Hafenlogistikunternehmens HHLA zugestimmt.
Aber wer braucht in Hamburg die CDU – die SPD höchstens, wenn die Grünen als Juniorpartner zu forsch werden. Was nicht sehr wahrscheinlich ist: Wenn es ernst wird, ordnen sich die Hamburger Grünen unter: Sie haben etwa der Privatisierung von 49 Prozent des Hafenlogistikunternehmens HHLA zugestimmt und einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum dilettantischen Umgang der Hamburger Polizei mit dem Mord des rechtsterroristischen NSU in Hamburg abgelehnt. Miriam Block, die einzige Grünen-Abgeordnete, die einem entsprechenden Antrag der Linksfraktion für die Einrichtung des Gremiums zustimmte, wurde dafür in ihrer Fraktion abgestraft[4]. Ihr wurden alle Ämter entzogen.
In die Bürgerschaft werden es laut der neuesten Umfrage von Infratest auch die AfD und die Linke mit jeweils zehn Prozent schaffen. Für die AfD wäre es eine Verdopplung des Ergebnisses von 2020, die Linke bleibt stabil[5] – wobei sie alles gibt, um mindestens das Hamburger Ergebnis bei der Bundestagswahl vom letzten Sonntag zu erreichen: 14,4 Prozent.
BSW, FDP und Volt liefern sich ein Rennen darum, wer näher an die Fünf-Prozent-Hürde herankommt. Während das BSW noch mit dem ehemaligen Linke-Abgeordneten Metin Kaya in der Bürgerschaft sitzt, hat eine weitere Linke-Abspaltung, die sich »Die Wahl« nennt, sogar noch zwei Abgeordnete: Mehmet Yıldız und Martin Dolzer. »Ein Großteil der Fraktion« sei »zu einem Teil der herrschenden Klasse geworden«, erklärten Yıldız und sein damaliger Mitarbeiter und späterer Nachrücker Dolzer 2022 in ihrer Erklärung zum Austritt aus der Linksfraktion. Er, Yıldız, betreibe dagegen Politik »in Zusammenarbeit mit der Arbeiterklasse«.
Auf Listenplatz drei bei »Die Wahl« folgt Keyvan Taheri, der 2020 Landessprecher der Linken Hamburg war, im Streit austrat und seinen ehemaligen Genoss*innen öffentlich vorwarf, eine »rassistische und antideutsche« Kampagne gegen ihn zu führen. Aufgefallen ist er als Inhaber eines Möbelladens, der sich über die Einrichtung eines Fahrradstreifens vor seinem Geschäftseingang beklagte. Die Zustimmungswerte für »Die Wahl« sind in Umfragen nicht ausgewiesen. Sie werden unter »Sonstige« subsumiert.
Das BSW kommt laut Prognosen auf drei Prozent. Geschadet haben dürfte der Wagenknecht-Partei in Hamburg das unwürdige Schauspiel, in dem zwei Mitglieder, die Kritik an der restriktiven Aufnahmepolitik des Bundesvorstandes übten, kaltgestellt wurden. Bei einer Podiumsdiskussion des DGB zur Wahl wurde der BSW-Vertreter als einziger ausgebuht. Er hatte sich für Gaslieferungen aus Russland ausgesprochen. In derselben Veranstaltung stimmten die Teilnehmenden zum Schluss darüber ab, wessen Aussagen sie am meisten teilen. Heike Sudmann, die für Die Linke teilnahm, bekam dabei mehr Stimmen als alle anderen Parteienvertreter*innen von CDU, Grünen, SPD, Volt und FDP zusammen.
Die Linke ist programmatisch nah an den Forderungen des Gewerkschaftsbundes: »Hamburg ist eine reiche Stadt. Statt einer rigiden Haushaltspolitik, die auf Rücklagenbildung orientiert, ist es jetzt an der Zeit, mutige Investitionen zu tätigen, und das sozial und geschlechtergerecht«, heißt es in den Wahlprüfsteinen des DGB.
Keine Rolle spielt Die Linke dagegen für die Hamburger Handelskammer. Die seit Jahrhunderten mächtige Interessenvertretung der durch die Ausplünderung der Kolonien reich gewordenen »Pfeffersäcke« residiert in einem Gebäude, das Rücken an Rücken mit dem Rathaus gebaut wurde. Die Wege sind entsprechend kurz. Und ihre Ansagen haben Gewicht. Bei einer Podiumsdiskussion zur Wahl warben die Spitzenkandidat*innen von SPD, Grünen und CDU, Peter Tschentscher, Katharina Fegebank und Dennis Thering, vor rund 1000 Teilnehmenden um Zustimmung. Kammerpräses Norbert Aust forderte eine entschlossene Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik: Mehr bauen! Bessere Infrastruktur!
CDU-Mann Thering gab daraufhin als sein oberstes Ziel aus, »die Wirtschaft fit zu machen«, beklagte mangelnde Sicherheit in der Stadt und eine vermeintlich autofahrerfeindliche Verkehrspolitik. Fegebank hielt dagegen, der Senat habe »70 Prozent mehr in die Sanierung von Straße« investiert: »Am Ende der Legislaturperiode werden wir bei 1000 sanierten Straßenkilometern sein.«
Beim Thema Mobilität kam auch die neue Autobahn A26-Ost zur Sprache, die »Hafenquerspange« für die bessere Straßenanbindung der Containerterminals. Die zerschneidet Naturschutzgebiete, die Grünen waren deshalb dagegen. Tschentscher stellte aber klar: Jeder, der mit der SPD regieren will, müsse wissen, dass die A26 gebaut werde. Fegebank daraufhin ganz verbindlich: »Das Ding steht im Koalitionsvertrag«. Dem reibungslosen Weiterregieren von Rot-Grün im Sinne der Handelskammer steht folglich nichts im Wege.