Der Antisemitismus an deutschen Hochschulen hat nach Darstellung der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) und des American Jewish Committee (AJC)[1] »nie dagewesene Ausmaße erreicht«. Jüdische Studierende befänden sich seit dem Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 »in einer andauernden Ausnahmesituation«. Viele fühlten sich nicht mehr sicher auf dem Campus deutscher Hochschulen, heißt es in einem am Donnerstag von den beiden Organisationen vorgelegten Lagebericht.
»Seit dem 7. Oktober sind viele Universitäten keine sicheren Orte mehr für jüdische Studierende«, erklärte JSUD-Präsidentin Hanna Veiler[2]. »Sie bleiben aus Angst dem Campus fern, verstecken ihre jüdische Identität oder trauen sich aufgrund der massiven antiisraelischen und antisemitischen Agitation an den Universitäten nicht, ihre Meinung zu äußern.« Viele seien nur noch zur Uni gegangen, wenn es wirklich notwendig gewesen sei. »Das heißt auch, dass man am allgemeinen Universitätsleben nicht mehr teilgenommen hat«, so Veiler. Mittlerweile habe sich die Lage wieder etwas normalisiert. »Nichtsdestotrotz bleibt es natürlich weiterhin ein Problem.«
Wegen des Rechtsrucks nach der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag will Veiler aus Deutschland auswandern, wie sie der »Jüdischen Allgemeinen« am Mittwoch sagte. Bei der Wahl hatte die AfD rund 20 Prozent der Stimmen erhalten.
Der Direktor des AJC Berlin, Remko Leemhuis, erklärte, nach den Massenmorden islamistischer Milizen in Israel sei an den Hochschulen eine »Explosion antisemitischer Vorfälle« zu beobachten gewesen. Neben Studierenden seien auch jüdische Hochschulmitarbeiter betroffen. Das Netzwerk jüdischer Hochschullehrender ergänzte, dass einige von ihnen auf Onlinekurse umgestiegen seien, auf dem Campus nicht mehr Hebräisch sprächen oder gar Personenschutz hätten. Der Lagebericht richte sich nicht nur an Hochschulleitungen und die Politik, sondern sei »auch eine Aufforderung an nichtjüdische Studierende und Universitätsangehörige, bei Judenhass nicht länger wegzusehen, sondern sich dem aktiv entgegenzustellen«, sagte Leemhuis.
»Sie bleiben aus Angst dem Campus fern, verstecken ihre jüdische Identität oder wagen aufgrund der antiisraelischen und antisemitischen Agitation an Unis nicht, ihre Meinung zu äußern.«
Hanna Veiler Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland
Der Report[3] listet eine Reihe von Vorfällen an Universitäten auf, etwa Hörsaalbesetzungen, Protestcamps, Angriffe und Beleidigungen, die als antiisraelisch oder antisemitisch bezeichnet werden. Er greift auf Daten der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) zurück, nach denen die Zahl antisemitischer Vorfälle an Hochschulen von 23 im Jahr 2022 auf 151 im Jahr darauf angestiegen ist.
Bildungsminister Cem Özdemir (Grüne) bezeichnete den Bericht als »alarmierend«. »Aus der Vergangenheit erwächst die Verantwortung, wehrhaft zu sein und Jüdinnen und Juden überall in Deutschland ein sicheres Leben zu ermöglichen, auf der Straße, auf dem Campus wie im wissenschaftlichen Diskurs«, erklärte er. Die Bekämpfung von Antisemitismus bleibe eine »gesellschaftliche Aufgabe – auch an unseren Hochschulen«.
Leemhuis und Veiler forderten unter anderem Ansprechpersonen wie Antisemitismusbeauftragte für jüdische Studierende, das Unterbinden antisemitischer Veranstaltungen, das konsequente Durchsetzen des Hausrechts, um Nicht-Universitätsangehörigen keinen Raum für Protestaktionen zu geben, und die konsequente strafrechtliche Verfolgung antisemitischer Straftaten. »Wir sehen immer noch, dass Haltung-Zeigen, Rückgrat-Zeigen, Durchgreifen keine Selbstverständlichkeit ist«, sagte Veiler mit Blick auf Hochschulleitungen, die es nach ihrer Überzeugung etwa beim Umgang mit Hörsaalbesetzungen oft an Konsequenz fehlen lassen.
Der Bundestag hat im Januar eine Resolution gegen Antisemitismus an Hochschulen[4] verabschiedet. Diese hat keine bindende Wirkung, aber seither haben Uni-Leitungen vermehrt geplante Veranstaltungen an ihren Einrichtungen abgesagt, von denen man offenbar fürchtet, sie könnten als antisemitisch oder antiisraelisch wahrgenommen werden. Davon waren zuletzt auch zwei Podiumsdiskussionen[5] mit der UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas, Francesca Albanese, an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Freien Universität Berlin betroffen. Zahlreiche Wissenschaftler haben die Resolution als Einschränkung freier Debattenräume an den Unis kritisiert[6], die die Diffamierung von Kritik an Israels Regierung und Armee als Antisemitismus ermögliche. Mit Agenturen
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189405.antisemitismus-mehr-antisemitismus-an-unis.html