Der gesellschaftliche Wandel kommt in den Pflegeheimen an: Mehr als 200 000 Menschen mit Migrationsgeschichte in Berlin sind nach Schätzungen älter als 60 Jahre. Viele von ihnen werden zeitnah pflegebedürftig sein. Zugleich haben fast 70 Prozent der Auszubildenden in Pflegeberufen bei der Caritas einen Migrationshintergrund. Dazu kommen Fachkräfte, die für Tätigkeiten in Pflegeberufen aus dem Ausland angeworben werden.
»Langsam kommt die Generation, die als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen sind, in das Rentenalter«, berichtet Nozomi Spennemann vom Verband für Interkulturelle Arbeit am Montag im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses über die Situation vietnamesischer Migranten.
Viele von ihnen hätten nur unzureichende Deutschkenntnisse und wüssten nur wenig über das deutsche Pflegesystem. »Die Kinder sind oft berufstätig und wohnen nicht in der Nähe«, sagt Spennemann. Als Sprachmittler könnten sie ohnehin häufig nicht agieren, weil die nachkommende Generation zumeist kaum Vietnamesisch spreche.
Spennemann wünscht sich, dass es mehr muttersprachliche Angebote für migrantische Pflegebedürftige gibt. In Lichtenberg hatte es den Versuch gegeben, eine Etage in einem Pflegeheim für vietnamesischstämmige Senioren zu reservieren. »Anfangs ging es gar nicht mal so sehr um die Pflege an sich, sondern um die Einsamkeit«, erzählt sie. Auf der Etage hätten die Rentner von vietnamesischsprachigen Pflegekräften betreut werden können. Zudem hätten sie dort auch gemeinsam buddhistische Rituale begehen können. Letztlich sei das Projekt aber schon in der Planungsphase an Organisationsproblemen gescheitert.
Der Idee wird teilweise auch mit Skepsis begegnet. »Wir brauchen diversitätssensible Pflege in allen Einrichtungen«, sagt Elke Breitenbach, pflegepolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Auf spezielle Zielgruppen ausgerichtete Projekte könnten dem entgegenlaufen.
»Viele Migranten der ersten Generation müssen in der Muttersprache gepflegt werden«, sagt Nozomi Spennemann. Denn durch Alzheimer und Demenz gingen Kenntnisse der angelernten deutschen Sprache oft verloren. »Irgendwann ist die Kommunikation nicht mehr möglich«, sagt sie. Schon jetzt existierten türkisch- oder arabischsprachige Pflegedienste[1]. »Vielleicht wird es bald auch einen vietnamesischen Pflegedienst geben«, so Spennemann.
»Wir haben eine bunte Gesellschaft, aber haben diese Buntheit auch beim Pflegepersonal selbst«, berichtet Elke Ahlhoff von der Koordinierungsstelle Pflegeausbildung. Das erleichtere den Umgang mit migrantischen Pflegebedürftigen, sei aber kein Selbstläufer. »Nur weil ich einen anderen kulturellen Hintergrund habe, heißt das nicht, dass ich eine kultursensible Haltung habe«, sagt sie. Vielfalt müsse daher auch in der Pflegeausbildung berücksichtigt werden. »Nicht als einmaliger Unterrichtsblock«, sagt sie, sondern als Querschnittsthema.
»Nur weil ich einen anderen kulturellen Hintergrund habe, heißt das nicht, dass ich eine kultursensible Haltung habe.«
Elke Ahlhoff
Koordinierungsstelle Pflegeausbildung
Besonders schwer sei die Situation für Pflegekräfte, die im Ausland angeworben wurden, berichtet Bärbel Arwe von der Caritas. »Wir müssen attraktive Rahmenbedingungen schaffen.« Daher biete man ihnen in den Pflegeschulen der Caritas Sprachkurse an. Nach Berlin kommende Pflegekräfte würden schon von hier arbeitenden Pflegern im Rahmen eines sogenannten Buddy-Systems betreut.
Auch das schützt aber nicht vor frustrierenden Erfahrungen: »Es kommt häufig vor, dass Pflegebedürftige die Behandlung durch Kollegen anderer Hautfarbe ablehnen«, sagt Arwe. Dafür gebe es interne Anlaufstellen, die in solchen Fällen Unterstützung organisieren[2].
Noch belastender sei für viele die Berliner Bürokratie: Die Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen dauere oft quälend lange – bis zu einem Jahr. »Man gewinnt fast den Eindruck, dass Berlin keine Pflegekräfte braucht«, sagt Arwe. Dabei erlebten die Fachkräfte teils unüberwindbare Hürden: So werde für den Abschluss eines Arbeitsvertrags ein anerkannter Berufsabschluss verlangt – um das Anerkennungsverfahren zu beginnen, müsse wiederum ein Arbeitsvertrag vorgelegt werden. »Wir drehen uns im Kreis«, so Arwe.
Nicht nur die zunehmende Vielfalt kultureller Hintergründe fordert die Pflegeeinrichtungen heraus: »Viele ältere Schwule können sich nicht offen zu ihrer Sexualität bekennen«, sagt Marco Pulver, der bei der Schwulenberatung Berlin ein Projekt zum Altern betreut. »Wenn sie in ein Pflegeheim kommen, müssen sie davon ausgehen, dass sie auf Menschen treffen, die für Homosexualität überhaupt kein Verständnis haben.« Für die Betroffenen könne das schwerwiegende Folgen haben. »Die Menschen ziehen sich dann zurück und nehmen nicht an gemeinschaftlichen Aktivitäten teil«, berichtet Pulver. Er habe beobachtet, dass die Betroffenen häufig früh versterben. »Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass sie sich ausgeschlossen gefühlt haben«, so Pulver.
Es müssten Strukturen geschaffen werden, die vor Ausschluss schützen, fordert Pulver. »Es geht nicht um Extrawürste.« Vielmehr müsse man allen Pflegebedürftigen mit dem gleichen Respekt entgegengetreten – unabhängig von ihrem Hintergrund, aber angepasst an ihre Bedürfnisse.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189481.gesundheit-berlin-vielfalt-pflegen.html