Knapp 20 000 persönliche Informationen hat die Berliner Polizei in ihrer Datenbank im vergangenen Jahr neu gesammelt – das geht aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Inneres auf eine Anfrage des Abgeordneten Vasili Franco (Grüne) hervor. Teil der Datenbank sind »personengebundene Hinweise« (PHW), die dem Eigenschutz der Beamten dienen sollen. Außerdem finden sich dort »ermittlungsstützende Hinweise« (EHW), die die Behörde für Ermittlungen nutzt. Unter den Neueinträgen für 2024 sind 193 Hinweise auf »Psychische und Verhaltensstörungen« – eine Information, die in der Kritik steht, zu stigmatisieren oder gar mehr Schaden anzurichten.
»Man muss sich bewusst sein, dass die Vergabe von personengebundenen Hinweisen immer Ausdruck einer polizeilichen Einschätzung und Bewertung ist«, sagt Franco im Gespräch mit »nd«. Der innenpolitische Sprecher seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus hat die Senatsverwaltung angefragt, um einen Einblick in die polizeiliche Datenerfassung zu bekommen. Denn was in Datenbanken erfasst wird, ändert sich stetig. So hat die bayerische Polizei jüngst für Wirbel gesorgt. Sie hatte eine Datenbank, in der Termine von polizeilicher Relevanz eingetragen werden, um das Schlagwort »gegen die CDU und CSU« ergänzt. Anlass sollen Medienberichten zufolge die Proteste gegen die Kooperation der CDU mit der AfD im Bundestag gewesen sein.
Die Antwort der Verwaltung auf Francos Anfrage zeigt die Neueinträge für 2024 der Berliner Polizei zum Zeitpunkt des 21. Januar 2025. EHW und PHW sind in einer gemeinsamen Liste aufgeführt. Unter den Neueinträgen in der Datenbank des Landes entfallen 11 426 auf den Hinweis »Aufenthaltsverbot«, 1585 weisen auf »Gefährdung (Stalker)« hin und 1137 auf »Gefährdungslagebild«. Für 24 Menschen hat die Berliner Polizei 2024 neue Hinweise als Tatverdächtige zu »Clan-Kriminalität« gesammelt und für 67 Menschen neue Hinweise als »relevante Umfeldperson« zu »Clan-Kriminalität« ergänzt. Außerdem gibt es 193 neue Hinweise zu Menschen, die laut der Berliner Polizei »Psychische und Verhaltensstörungen« haben sollen.
Genau dieser Hinweis steht in der Kritik: Wie »nd« berichtete[1], gibt es mehr als 3000 Einträge in den Datenbanken der deutschen Polizeien, bei denen der Eintrag den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht. Eigentlich müsste der Behörde ein ärztliches Gutachten vorliegen, das über den Krankheitszustand einer Person informiert, um sie in ihrer Datenbank als »psychisch- oder verhaltensgestört« zu vermerken. Da psychische Krankheiten nicht immer von Dauer sind, sollte der Hinweis auf Aktualität geprüft werden. Die Sammlung derart persönlicher Daten wird von Datenschützer*innen auch grundsätzlich kritisiert, stellen sie doch einen Eingriff in die Grundrechte dar. Wer in der Datenbank landet, wird nicht darüber informiert.
Einmal in der polizeilichen Datenbank dürfe nicht zu einem »für immer in der polizeilichen Datenbank« führen, meint Franco. Was mit Menschen passiert, die zwar eine Gefahr darstellten, »aber in allererster Linie Hilfe brauchen«, habe der Abgeordnete selbst erlebt, als er einen Polizeieinsatz begleitete. »Sie werden in die Notaufnahme gebracht und wenn keine Suizidgefahr besteht, wieder entlassen«, erzählt er. Das koste dann mehrere Einsatzkräftestunden und die betroffene Person bleibe am Ende auf sich alleine gestellt.
Laut dem innenpolitischen Sprecher sei das Hilfesystem für Menschen mit psychischen Auffälligkeiten »absolut unterausgestattet«. So seien etwa die Bedarfe bei der psychosozialen Versorgung Geflüchteter seit Jahrzehnten nicht gedeckt. Das beklagen auch Institutionen aus dem Bereich: Der bundesweite Zusammenschluss psychosozialer Zentren schreibt, für 2025 brauche es 27 Millionen Euro für die Versorgung von Geflüchteten und Überlebenden von Menschenrechtsverletzungen. Laut Franco stellt der Bund im aktuellen Haushalt jedoch nur etwa sieben Millionen bereit – weniger als die Jahre zuvor.
»Personengebundene Hinweise können in bestimmten Fällen dazu führen, dass ein Einsatz eskaliert.«
Vasili Franco (Grüne)
innenpolitischer Sprecher im Abgeordnetenhaus
»Gerade wenn sich die soziale Lage im Land verschlechtert, hat das unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherheitslage«, meint der Abgeordnete. Mehr psychisch erkrankte Menschen, die keine Hilfe bekommen, würden »zwangsläufig auch zu einem Anstieg der Kriminalität« führen. Positiv stimme den Abgeordneten, dass der Umgang mit psychisch Erkrankten in der polizeilichen Ausbildung an Bedeutung gewinne. Der Antwort der Senatsverwaltung für Inneres ist jedoch zu entnehmen, dass die Beamten aktuell nur auf »freiwilliger Basis« Fortbildungsseminare zum Umgang mit Menschen mit psychischen Auffälligkeiten machen. Verpflichtend seien nur mehrtägige »Verhaltenstrainingsseminare zur Kommunikation« sowie zur Konflikt- und Stressbewältigung.
Laut Franco könnten personengebundene Hinweise in bestimmten Fällen dazu führen, dass ein Polizeieinsatz »durch stigmatisierende Vorannahmen die Einsatzbewältigung« erschweren könnte oder gar, dass ein Einsatz eskaliere[2]. Die Grünen fordern darum den Senat auf, ein Modellprojekt mit »multiprofessionellen Kriseninterventionsteams« durchzuführen. Dazu sollen Polizei, Rettungsdienste, ein Träger der psychosozialen Beratungsarbeit sowie ein Träger der Sozialarbeit ein »Einsatzkonzept« erarbeiten und umsetzen. So soll Menschen in psychischen Ausnahmezuständen adäquat geholfen und somit kritische Einsatzsituationen frühzeitig deeskaliert werden.