Zwei Tage vor einem EU-Krisengipfel zur Ukraine hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Katze aus dem Sack gelassen. Die frühere CDU-Bundesverteidigungsministerin präsentierte einen fünf Punkte umfassenden »Plan zur Wiederaufrüstung Europas«, für den die europäischen Steuerzahler mit bis zu 800 Milliarden Euro über Generationen zur Kasse gebeten werden sollen.
Aus dem Hut zauberte von der Leyen das Projekt keineswegs, obwohl ihre Erklärung nur wenige Stunden nach der Bekanntgabe der US-Regierung erfolgte, ihre Militärhilfen für die Ukraine vorerst einzustellen. Vor seiner Bekanntgabe sollte die Bundestagswahl in Deutschland abgewartet werden, um in Brüssel, London und Paris politisch unerwünschte Auswirkungen auf das Wahlverhalten in der größten europäischen Volkswirtschaft zu vermeiden.
Allerdings hatte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), deren Basis einen solchen Kurs goutiert, bereits ausgeplaudert, dass hinter verschlossenen Türen eine massive Aufrüstung der EU geplant wird. Die nächste Bundesregierung wird dennoch ohne ihre Partei auskommen.
Nach dem Eklat beim kürzlichen Besuch des ukrainischen Staatschefs Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus, wo dieser keine Bereitschaft zur Vereinbarung eines Waffenstillstands mit Russland zeigte, setzt US-Präsident Donald Trump damit nun die Daumenschrauben an. Seit dem öffentlichen Streit zwischen Selenskyj und Trump wurde der Chor der Stimmen, der stärkere Rüstungsanstrengungen der europäischen Unterstützer der Ukraine fordert, noch lauter.
Jetzt sollen Nägel mit Köpfen gemacht werden: Die Sicherheit Europas sei auf sehr reale Weise bedroht, behauptete von der Leyen in Brüssel. »Dies ist die Stunde Europas, und wir müssen ihr gerecht werden«, erklärte sie. »Wir befinden uns in einer Ära der Aufrüstung, und Europa ist bereit, seine Verteidigungsausgaben massiv zu erhöhen.«
Von der Leyen schlug in einem Schreiben an die Staats- und Regierungschefs der Union »ein neues EU-Finanzinstrument« vor, um die Aufrüstung in den Mitgliedsländern zu pushen. Es soll Darlehen in Höhe von 150 Milliarden Euro umfassen, die durch den EU-Haushalt abgesichert sind. Damit könnten die Staaten unter anderem Luftabwehrsysteme, Artillerie, Raketen und Munition beschaffen, schrieb sie. »Mit dieser Ausrüstung können die Mitgliedstaaten ihre Unterstützung für die Ukraine massiv ausweiten«, fügte von der Leyen bei einem kurzen Auftritt in Brüssel hinzu.
Zudem schlug die Kommissionspräsidentin vor, die EU-Schuldenregeln mittels einer nationalen Ausnahmeklausel zu lockern[1]. Dies könne »fiskalischen Spielraum von nahezu 650 Milliarden Euro über einen Zeitraum von vier Jahren schaffen«, sagte von der Leyen. Dies gelte, wenn Mitgliedsländer ihre Verteidigungsausgaben im Schnitt um 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) steigerten.
Weitere Mittel für Verteidigung könnten nach ihren Worten über den EU-Haushalt generiert werden. So könnten Mitgliedsländer die sogenannten Kohäsionsfonds, die eigentliche für die Regionalförderung bestimmt sind, für den Ausbau von Rüstungskapazitäten nutzen. Daneben setzt die Kommissionschefin auf weitere Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB) in Luxemburg, die bisher zivil wie militärisch nutzbare Güter finanziert, sowie auf Anreize für Privatinvestoren. Zusammen mit privatem Kapital und zusätzlichen Mitteln für die Europäische Investitionsbank könnte von der Leyens Vorschlag nahezu 800 Milliarden Euro mobilisieren.
Die Ankündigungen aus Brüssel sorgen an den Börsen bei den Anlegern im Rüstungssektor für Euphorie und für Rekorde bei den Kursen der Hersteller militärischer Güter[2]. Analyst Christoph Menard von der Deutschen Bank spricht nach dem Eklat zwischen Trump und Selenskyj von einem »beschleunigten Paradigmenwechsel«.
Im Dax schoss der Kurs der bayerischen Hensoldt AG alleine seit Freitagabend um bis zu 43 Prozent nach oben auf einen neuen Höchststand. Mit 60 Prozent Umsatzanteil in Deutschland sei der Spezialist für Rüstungselektronik Hauptprofiteur eines zuletzt ins Spiel gebrachten weiteren Sondervermögens für die Bundeswehr[3], erläutert Menard. Rheinmetall steigerte sich um 25 Prozent und der Panzergetriebe-Hersteller Renk um 20 Prozent. Beim Börsenverbund Euronext ragte der Technologiekonzern Thales mit einem Plus von 30 Prozent binnen zwei Tagen auf einen Rekordwert heraus. Mit Agenturen