Am internationalen Frauentag im März 2021 ging in Afghanistan der von Frauen geführte Radiosender Begum auf Sendung. Wenige Monate später übernahmen die militant-islamistischen Taliban die Macht. Journalisten und Medienmacher mussten fliehen. Radio Begum gehörte zu jenen, die blieben. Wie Millionen Mädchen und Frauen versuchen die Begum-Journalistinnen seitdem, unter den Taliban zu überleben[1].
Nahezu im Wochentakt erließen die extremistischen Machthaber[2] neue Dekrete, unterbanden die Versammlungsfreiheit protestierender Frauen mit Gewalt, sprachen Bildungs- und Arbeitsverbote aus. Seitdem dürfen Frauen keine weiterführenden Schulen und Universitäten mehr besuchen.
Radio Begum versuchte, dem etwas entgegenzusetzen, strahlte Bildungsprogramme für die siebte bis zwölfte Klasse aus. Geheime Schulen, in denen junge Frauen unterrichtet werden, nutzten Programme von Begum und vergleichbaren Sendern.
Doch dann, Anfang Februar, stoppten die Taliban den Sendebetrieb von Radio Begum. Der Vorwurf: Kollaboration mit ausländischen Medien, die vom Regime sanktioniert wurden. Längst ist klar, dass in Afghanistan keine Pressefreiheit mehr herrscht. Ein Großteil der Berichterstattung aus dem Land wird kontrolliert und reguliert. Dies betrifft vor allem lokale Medienmacher, während ausländischen Youtubern und einigen Journalisten gewisse Freiheiten gewährt werden. Afghanische Frauen stehen meist – wenn überhaupt – hinter der Kamera.
Nun gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer. Ende Februar gab das Informationsministerium der Taliban bekannt, dass Begum bald wieder auf Sendung gehen dürfe. Nicht nur für die Hörerschaft, auch für die Mitarbeitenden des Senders wäre das wohl tatsächlich eine große Erleichterung. Denn nach wie vor ist klar, dass nur die wenigsten Afghaninnen flüchten können[3] – obwohl zahlreiche Arbeits- und Bildungsverbote bestehen, Kritiker zu Recht von einer Gender-Apartheid sprechen und auch der Menschenrechtsgerichtshof der EU klargestellt hat, das Frauen aus Afghanistan innerhalb der EU per se asylberechtigt seien. Viele Frauen im Land müssen ihre Familien ernähren. Auch sie sind, wie die Begum-Journalistinnen, von ihrem Lohn abhängig.
Klar ist allerdings auch, dass die Kontrolle sowie die Repressionen der Taliban nicht verschwinden werden. Die Aufhebung des Arbeitsverbots für Begum bestätigt nur das, was viele Beobachter in den letzten Jahren immer wieder in den Raum warfen: Unter den Taliban-Köpfen in Kabul lassen sich auch moderatere Pragmatiker finden, die nicht alles in Grund und Boden stampfen und ihr düsteres Emirat der 1990er-Jahre wiederaufleben lassen wollen. Dies scheint vor allem in den Kabuler Ministerien der Fall zu sein, wo sich viele Taliban-Mitglieder mit vorgehaltener Hand gegen das bestehende Verbot für Frauen aussprachen, weiterführende Schulen und Universitäten zu besuchen.
Ein prominentes Beispiel hierfür ist etwa Scher Mohammad Abbas Stanikzai, der stellvertretende Außenminister des Regimes. Vor wenigen Wochen übte er während einer Rede scharfe Kritik am Bildungsverbot. Im Anschluss verließ er das Land. Gegenwärtig soll sich Stanikzai in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufhalten. Manche munkeln gar, dass er vom obersten Taliban-Führer, Haibatullah Akhundzada, zur Persona non grata erklärt wurde.
Fälle, wie jener von Stanikzai, verdeutlichen auch, in was für unterschiedlichen Welten die Extremisten selbst in den letzten Jahren gelebt haben. Während Stanikzais Familie bis heute im Ausland lebt und seine Töchter dort auch höchstwahrscheinlich säkulare Bildungseinrichtungen besucht haben, verweilten Männer wie Akhundzada meist in den Stammesgebieten zwischen Afghanistan und Pakistan.
Sie kennen deshalb auch nichts anderes als religiöse Schulen, in denen häufig der »heilige Krieg« mit der Waffe als höchstes Ziel gepriesen wurde. Selbst das Leben in Städten wie Kabul ist diesen Männern bis heute fremd, weshalb die Situation im Land auch unter den neuen, alten Machthabern gewiss nicht einfach zu lösen sein wird[4] – trotz kleiner Lichtblicke, wie der Wiederaufnahme von Radio Begum.