Bei heftigen Kämpfen zwischen Truppen der syrischen Übergangsregierung und bewaffneten mutmaßlichen Anhängern des im vergangenen Jahr gestürzten Langzeitherrschers Baschar Al-Assad sind Aktivisten zufolge Dutzende Menschen getötet worden. Das geht aus einem Bericht der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte hervor.
Angesichts der schweren Kämpfe geht die syrische Übergangsregierung laut Sicherheitskreisen mit einem »großangelegten« Einsatz im Westen des Landes gegen die Assad-Anhänger vor. Wie das Verteidigungsministerium in Damaskus am Freitag mitteilte, wurden zusätzliche Kräfte in die Küstenregion um Latakia und Tartus geschickt. Der Einsatz ziele auf »die Überreste von Assads Milizen und ihre Unterstützer«, hieß es laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Sana aus Sicherheitskreisen.
Bei den bisher schwersten Kämpfen zwischen Kräften der islamistischen Übergangsregierung und Assad-Anhängern seit dem Sturz des syrischen Machthabers Assad Anfang Dezember wurden seit Donnerstag mindestens 124 Menschen getötet, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte. Sie berichtete zuletzt, syrische Regierungstruppen hätten mindestens 52 Alawiten in der Provinz Latakia »hingerichtet«.
Die Beobachtungsstelle und Aktivisten veröffentlichten Videos, die Dutzende Leichen in ziviler Kleidung im Hof eines Hauses zeigten, während Frauen dort in der Nähe weinten. In einem anderen Video werden drei Menschen per Kopfschuss hingerichtet. Die Nachrichtenagentur AFP konnte diese Videos nicht unabhängig überprüfen.
Die Beobachtungsstelle hatte zuvor gemeldet, dass seit Donnerstag 72 Tote bei den Gefechten gezählt worden seien, darunter 36 Mitglieder der Regierungseinheiten, 32 Kämpfer der Assad-Anhänger und vier Zivilisten. Zudem gibt es den Angaben zufolge Dutzende Verletzte und Gefangene auf beiden Seiten. Die Beobachtungsstelle bezieht ihre Informationen von einem Netzwerk von Aktivisten in Syrien.
Die Region im Westen Syriens ist mehrheitlich von Mitgliedern der religiösen Minderheit der Alawiten bewohnt, der auch der gestürzte Machthaber Assad angehört. Während der jahrzehntelangen Herrschaft des Assad-Clans waren dort die Hochburgen von dessen Anhängern. Seit ihrer Machtübernahme hat die neue syrische Führung wiederholt versichert, die Minderheiten im Land zu schützen[1]. Die Alawiten fürchten jedoch Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Gemeinschaft.
Die Regierungskräfte erklärten laut Sana, den ehemaligen General Ibrahim Huweidscha festgenommen zu haben, der für »hunderte Morde« zu Zeiten des Assad-Regimes verantwortlich sein soll.
Zivilisten berichteten am Freitag von andauernden Kämpfen. »Wir haben die ganze Nacht lang Schüsse und Explosionen gehört«, sagte ein Bewohner der bei Latakia gelegenen Stadt Dschabla. In Latakia, Tartus und in der weiter im Landesinneren gelegenen Provinz Homs waren Ausgangssperren ausgerufen worden.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen zeigt sich angesichts von Berichten über willkürliche Verhaftungen und Tötungen von Angehörigen der alawitischen Minderheit alarmiert und fordert die deutsche Bundesregierung auf, sich für ein Ende der Kämpfe zwischen Sicherheitskräften der neuen islamistischen Regierung und bewaffneten Alawiten einzusetzen. Die GfbV ordnet die Vorfälle anders ein als die offiziellen Angaben seitens der syrischen Übergangsregierung. Demnach handele es sich bei den bewaffneten Gruppen sowohl um Anhänger Assads als auch um alawitische Zivilisten, die sich gegen Angriffe der islamistischen Sicherheitskräfte zur Wehr setzen, heißt es in einer Pressemitteilung.
»Unter dem Vorwand, Anhänger des Assad-Regimes zu verfolgen, gehen islamistische Kämpfer der neuen sunnitisch-islamistischen Regierung in Damaskus gegen die alawitische Minderheit an der Mittelmeerküste vor. Laut unseren Quellen vor Ort gibt es willkürliche Verhaftungen und Tötungen«, berichtete der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido am Freitag.
Es müsse verhindert werden, dass frühere Al-Qaida-Kämpfer und Anhänger des Islamischen Staats, die jetzt Teil der neuen sogenannten syrischen Armee seien, unter dem Vorwand, Überreste des Assad-Regimes zu bekämpfen, Verbrechen an Zivilisten begehen. »Alle Verhaftungen von Anhängern des alten Regimes müssen bis zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit eingestellt werden. Es muss Aufgabe dieser Regierung sein, die Verbrechen des Assad-Regimes aufzuarbeiten und die Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen.«
Die Türkei, die nicht erst seit dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien ihre eigenen Interessen verfolgt und die Kurden im Norden bekämpft[2], warnte mit Blick auf die Assad-Anhänger vor »Provokationen«, die eine »Bedrohung für den Frieden in Syrien und in der Region« sein könnten, wie ein Sprecher des türkischen Außenministeriums sagte. Die Spannungen in Latakia und Umgebung und die Angriffe auf Sicherheitskräfte der Übergangsregierung könnten die Bemühungen untergraben, »Syrien zu Einheit und Brüderlichkeit« zu führen. Die Türkei, die selbst mehrere tausend Soldaten in Syrien stationiert hat und dort vor allem gegen kurdische Milizen im Nordosten vorgeht, ist ein wichtiger Unterstützer der islamistischen Übergangsregierung in Syrien.
Das saudi-arabische Außenministerium verurteilte im Onlinedienst X die »Verbrechen gesetzloser Gruppen in der Syrischen Arabischen Republik und die Angriffe auf Sicherheitskräfte«. Riad bekräftigte zudem seine weitere Unterstützung für die neuen Machthaber in Syrien.
Die GfbV fordert die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, »dass bei der Bildung der neuen syrischen Regierung alle Bevölkerungsgruppen eingebunden werden[3]«. Neben der inzwischen offiziell aufgelösten islamistischen Miliz Haiat Tahrir Al-Scham (HTS), die vom derzeitigen Übergangspräsidenten Ahmad Al-Scharaa angeführt wurde, müssten auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die den Nordosten des Landes kontrollieren, drusische Verbände aus dem Süden[4] und Alawiten von der syrischen Mittelmeerküste Teil der neuen Regierung werden. Und: »Nach dem Abzug der Iraner und der schiitischen Islamisten wie der Hisbollah-Miliz müssen auch die Türkei und alle nicht-syrischen sunnitischen Islamisten Syrien verlassen«, fordert Nahostreferent Kamal Sido. Agenturen/nd
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189612.syrien-schwere-kaempfe-in-westsyrien.html