nd-aktuell.de / 09.03.2025 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 1

Raubwanzen bringen den Chagas-Erreger

Eine frische Chagas-Infektion lässt sich behandeln – wird sie übersehen, kann es Folgekrankheiten geben

Ulrike Henning
3-D-Illustration des Einzellers Trypanosoma cruzi
3-D-Illustration des Einzellers Trypanosoma cruzi

Blutsaugende Raubwanzen wirken schon dem Namen nach wie eher unangenehme Zeitgenossen. In Mittel- und Südamerika lebende Vertreter dieser Art haben zudem die Eigenschaft, dass sie über ihren Kot die Chagas-Krankheit übertragen. Das Reservoir des entsprechenden Parasiten, des Einzellers Trypanosoma cruzi, sind diverse Tiere, teils freilebend (Gürteltiere[1], Faultiere), teils mit dem Menschen verbunden wie Hunde und Katzen.

Mittlerweile gehören Menschen ebenfalls zu diesem Reservoir. Weltweit wird mit sieben Millionen chronisch Infizierten gerechnet, und zwar deutlich über Amerika hinaus. Da sich weiterhin nicht wenige deutsche Touristen in Staaten des Doppelkontinents auf die Reise machen, gelangte das Thema Chagas auf die Tagesordnung des Forums Reisen und Gesundheit Ende vergangener Woche am Rande der Tourismusmesse ITB[2] in Berlin.

Besonders für Reisen in ländliche Gebiete Mittelamerikas gilt: Obacht bei Übernachtung in einfachen Unterkünften, etwa mit Lehm- oder Strohwänden oder mit Palmblattdächern. Hier verstecken sich nämlich die Wanzen in den Ritzen der Häuser und gehen nachts auf Blutsuche, wie Thomas Zoller erklärt. Der Lungenarzt leitet eine Forschungsgruppe im Fächerverbund Infektiologie, Pneumologie und Intensivmedizin der Charité Berlin. Übertragen wird der Chagas-Erreger durch Wanzenkot. In den menschlichen Körper gelangt der Einzeller, wenn mit den Händen Schleimhäute berührt werden oder auch indirekt über Nahrungsmittel, in die wiederum die Wanzen geraten sind. Das können frisch gepresste Fruchtsäfte oder Zuckerrohrsaft sein.

Laut Zoller zählt Chagas »zu den typischen vernachlässigten Krankheiten, mit denen sich insbesondere ärmere Menschen anstecken[3]«. Aber sowohl die Raubwanzen – über Migration, Tourismus und Handel – als auch infizierte Menschen sind weltweit unterwegs. Da die Infektion lebenslänglich besteht, kann sie später wieder reaktiviert werden. Immerhin bleiben nach einer Ansteckung in der Kindheit zwei Drittel der Betroffenen lebenslang ohne Beschwerden. Diese können dann auch den Erreger weitergeben, zum Beispiel mit einer Blut- oder Organspende oder bei Frauen über die Schwangerschaft.

Hochgerechnet tragen vermutlich zwei bis drei Prozent der Menschen, die aus Lateinamerika nach Europa gekommen sind, den Einzeller. Etwa bei Blutspenden sollte diesem Personenkreis hierzulande systematisch ein Test auf die Erreger angeboten werden, was in anderen europäischen Ländern schon üblich ist, meinen Wissenschaftler. Für möglicherweise von der Krankheit betroffene Menschen in Deutschland gibt es das Chagas-Netzwerk Elcid, das kostenlos berät, testet und behandelt.

Eine Therapie ist bei frischer Ansteckung noch möglich. Treten unspezifische Symptome, darunter Erkrankungen des Herzens wie Herzschwäche oder Störungen des Magen-Darm-Traktes später im Leben auf und lassen sich auf Trypanosoma cruzi zurückführen, ist der Infektion nicht mehr beizukommen, wohl aber den Folgekrankheiten.

Da es keine Impfung gegen Chagas gibt, sollten Reisende in Schlafbereichen Moskitonetze verwenden und gut auf eine körperferne Befestigung achten. Zoller wirbt aber auch dafür, Chagas im Kontext allgemeiner Reiserisiken zu sehen und die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Wer etwa als Entwicklungshelfer oder für ein Praktikum in die Region reist, sollte informiert werden, meint der Mediziner: »Es ist wichtig, die herauszufinden, die beraten werden müssen.« Betroffen sein könnten auch Rucksackreisende, die in Dörfern oder auf Campingplätzen von Südamerika bis in den Süden der USA unterwegs sind.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1186088.besiedlung-amerikas-spuren-erster-einwanderer.html?sstr=Gürteltiere
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189472.internationale-tourismus-boerse-itb-in-berlin-sparen-um-zu-reisen.html?sstr=ITB
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/214660.therapie-fuer-chagas-gesucht.html?sstr=Chagas