Behörden aus EU-Staaten intensivieren ihre Überwachungspraktiken durch immer mehr Datenanfragen bei großen US-Internetkonzernen. Sie erhielten im ersten Halbjahr 2024 fast fünfzehnmal mehr Nutzerdaten als noch 2014. Das geht aus einer aktuellen Auswertung des auf sichere Verschlüsselung spezialisierten E-Mail-Anbieters Proton Mail hervor, wozu die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« berichtet[1]. Demnach haben Google, Meta und Apple im ersten Halbjahr 2024 Daten von 164 472 Nutzerkonten an EU-Regierungen weitergegeben. Deutschland steht demzufolge mit 76910 angeforderten Datensätzen unangefochten an der Spitze, es folgen Frankreich (25 772 Datensätze) und Polen (17 916).
Raphael Auphan, Vorstandsmitglied von Proton Mail, erklärt dazu, dass viele dieser Anfragen der Behörden auf »private, persönliche und sensible Daten« abzielen und auch veröffentlichte Inhalte und sogar Kreditkarteninformationen beinhalten können. Anfragen zur Herausgabe dieser sogenannten elektronischen Beweismittel würden von dem Mailanbieter immer auf ihre Übereinstimmung mit Gesetzen geprüft. Proton Mail verlange auch die Vorlage von Gerichtsbeschlüssen.
Auphan spricht gegenüber der »FAZ« von einem neuen »Überwachungskapitalismus«: Die Regierungen müssten kaum noch Beobachtungen durch Geheimdienste durchführen, da Strafverfolgungsbehörden in demokratischen Ländern zunehmend dazu tendierten, »so viele elektronische Daten wie möglich anzufordern«. Alles, was eine Regierung dazu tun müsse, sei eine Anfrage an »Big Tech in Kalifornien«.
Proton Mail kritisiert deshalb auch die mangelnde Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vieler Dienste, die nach Willen vieler EU-Regierungen weiter aufgeweicht werden soll. Als Aufhänger dient der angebliche Kampf gegen sexualisierte Darstellungen von Kindern und Jugendlichen. Einige Staaten fordern[2], dass die Tech-Giganten dazu die Smartphones ihrer Kund*innen nach verdächtigen Fotos durchsuchen und bei einem mutmaßlichen Treffer die Polizei informieren.
Über 90 Prozent aller Internetdaten von EU-Bürger*innen sind bei den großen US-Anbietern gespeichert. Deshalb verhandeln die Kommission in Brüssel und die Regierung in Washington seit Jahren ein Abkommen, das die Abfrage elektronischer Beweismittel weiter erleichtert und hierzu kurze Fristen zur Erledigung einführt. Kritiker*innen warnen, dass US-Behörden dann auch Menschen in der EU leichter überwachen könnten.
Proton Mail zeigte Ende Februar in einer Analyse, dass auch der Datenhunger amerikanischer Behörden drastisch zunimmt: Im Zeitraum von 2014 bis 2024 übergaben allein Meta, Google und Apple rund 3,2 Millionen Nutzerdatensätze an Polizeien, den Zoll oder Geheimdienste in den USA.
Mit der neuen Regierung unter Donald Trump gibt es jedoch für Europäer*innen Entwarnung: Wie das »nd« erfuhr, wurden die jahrelangen Gespräche, die noch Ende des Jahres kurz vor dem Abschluss eines EU-US-Abkommens für den Austausch elektronischer Beweismittel schienen, durch Washington beendet und sämtliche amerikanische Verhandler*innen überraschend abgezogen. Das Thema steht deshalb auf der Tagesordnung eines ersten Treffens der neuen EU-Kommission mit der US-Justizministerin und Trump-Freundin[3] Pam Bondi, das noch im März stattfinden soll.