Dass der Kabarettist Gerhard Polt großartig ist, gehört zu den wenigen gesicherten Wahrheiten auf diesem Planeten. Also lag es nahe, zwei Freunden mit zustimmendem Kommentar ein Polt-Zitat zu schicken, das ich aus der aktuellen Ausgabe der »Zeit« abfotografiert hatte: »Die Leute haben einen Megascreen, haben einen Thermomix in der Küche, dann haben sie jedes Jahr eine Work-Life-Balance. Und sie fahren ein SUV, aber sie finden keinen Parkplatz. Das finden sie empörend. Deshalb sagen sie, so kann es nicht weitergehen mit diesem Land und wählen AfD.«
Blöderweise habe ich erst danach versucht herauszufinden, wo dieses kleine Störgefühl herkam, das sich schon beim ersten Lesen eingestellt hatte. Zumal es ja stimmt: Ein Typus des AfD-Wählers ist der saturierte Spießer mit Angstneurose. Blöderweise gibt es noch viele andere. Jedenfalls kam mir das Gespräch mit einer Bekannten in den Sinn, die sich über die Erfolge der AfD aufgeregt hatte und das ähnlich wie Polt begründete. Die objektive Lage hierzulande sei doch deutlich besser als die gefühlte, sagte sie. Und dann kam der Satz: »Uns geht’s doch gut.«
»Uns«? Auch Politiker reden ja ständig von »den Bürgerinnen und Bürgern«, die angeblich irgendetwas erwarten. Und dann von ihnen. Oder sie benutzen gleich die erste Person Plural: »Wir brauchen«, »was uns fehlt…« Als ob es in einer Gesellschaft so etwas wie homogene Interessen gäbe. Und als ob ich in ein »Wir« eingeschlossen sein möchte, das aus dem Mund von Markus Söder (CSU) oder Katrin Göring-Eckardt (Grüne) kommt.
»Uns geht’s doch gut«, dürfen Menschen sagen, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben oder aus Kriegsregionen geflohen sind. Gut situierte Bildungsbürger dürfen das nicht. Sie geben dadurch nämlich nur zu erkennen, dass sie sich längst an ihre Privilegien gewöhnt haben und kaum noch von all dem betroffen sind, was ja tatsächlich in den vergangenen 10 bis 15 Jahren schief gelaufen ist. Die Preisexplosionen bei Mieten und Lebensmitteln vor allem. Weitgehend irrelevant fürs Bioladenpublikum, aber für einige Menschen schlicht die Frage, ob sie sich ihre Lieblingsmarmelade gönnen oder doch beim No-Name-Produkt bleiben. Die Tatsache, dass die Allermeisten länger arbeiten müssen – für weniger Rente.
Und es gibt eben leider doch noch ein paar mehr Gründe für den weitverbreiteten Eindruck, dass so einiges den Bach runtergeht. Die Post kommt nur noch alle drei Tage. Über die Bahn ist derzeit wirklich jedes Wort eines zu viel. Schulen und Straßen sind in einem schlimmen Zustand, in Kitas und Krankenhäusern wird oft nur noch verwahrt. Auf dem Land ist die Post längst geschlossen, aber jetzt ist auch der Briefkasten drei Orte weiter. Die Bäckerei, der kleine Kaufladen und das Jugendzentrum hatten vor 20 Jahren noch auf. Hatte man eine Frage oder eine Beschwerde, wandte man sich an einen Menschen aus Fleisch und Blut statt ans Call-Center-Nirvana. Und wenn man einen Arzttermin brauchte, musste man nicht acht Monate warten. Schon gar nicht bei akuten Krankheiten.
Ach, Mist, Kolumne zu Ende. Dabei hatte ich gerade erst angefangen. »Uns geht’s doch gut«? Vielen geht es gut. Und weil es einigen viel zu gut geht, geht es vielen anderen wirklich schlechter als früher.