Die Parlamentswahl im dänischen Außengebiet Grönland (Kalaallit Nunaat) hat eine deutliche Verschiebung in der politischen Landschaft gebracht. Das am Mittwoch veröffentlichte offizielle Wahlergebnis drückt den Wunsch vieler Grönländer nach Veränderung und einer stärkeren Abgrenzung von Kopenhagen aus. Die Versprechungen und Drohungen von US-Präsident Donald Trump, der die zum größten Teil von Eis bedeckte größte Insel der Welt gern an die Vereinigten Staaten anschließen würde, haben daran einen Anteil.
Seit 1979 ist Grönland ein autonomer Teil des Königreiches, doch entscheidet über die Außen- und Verteidigungspolitik noch immer die ehemalige Kolonialmacht Dänemark. Deren Regierungschefin Mette Frederiksen hat Trumps Ansprüche auf das rohstoffreiche und geostrategische bedeutsame Grönland[1] entschieden zurückgewiesen und wird dabei von den europäischen Partnern unterstützt. Auch die überwältigende Mehrheit der Grönländer träumt nicht von einer Übernahme ihres Landes durch die USA, sondern weiter von der Eigenstaatlichkeit.
Am radikalsten verficht dieses Ziel die nationalistische Naleraq-Partei, die ihr Ergebnis gegenüber der vergangenen Wahl vor vier Jahren glatt verdoppelte und auf 24,5 Prozent kam. Zur Unabhängigkeit wollen diese Populisten so schnell wie möglich und um jeden Preis gelangen. Sie profilieren sich mit anti-dänischen Parolen und fordern Privilegien für Einwohner mit grönländischer Abstammung. Dabei legt Naleraq auch den Finger in alte Wunden, die Dänemark auf der ursprünglich von den Inuit bewohnten Insel bis in die postkoloniale Ära hinein geschlagen hat, und die Kultur und Traditionen der Indigenen verschütteten[2].
Noch stärker hinzugewonnen als Naleraq hat die sich sozial-liberal nennende Demokratische Partei von Jens-Frederik Nielsen, die 29,9 Prozent der Stimmen erhielt und damit stärkste Kraft im 31 Sitze zählenden Parlament Inatsisartut in der grönländischen Hauptstadt Nuuk wird. Die Demokraten wollen die Unabhängigkeit langfristig erreichen und auf keinen Fall ohne die dafür erforderlichen ökonomischen Grundlagen.
Im Wahlkampf traten sie besonders für die Interessen des für Grönland wichtigen Fischereisektors ein, der sich durch Fangquoten behindert sieht, die die bisherige Regierung als Maßnahme gegen Überfischung festgelegt hatte. Ein Haustürwahlkampf von Parteichef Nielsen führte ihn auch an viele kleine Orte im Land. Die Mitte-rechts-Partei verspricht auch, sich besser um Bildung und Gesundheit zu kümmern.
Verlierer der Wahl ist die Koalition von Regierungschef Múte B. Egede, dem Chef der Linkspartei Inuit Ataqatigiit (IA). Ebenso wie die Sozialdemokraten (Siumut) hat sie beim Stimmenanteil Verluste im zweistelligen Bereich zu verzeichnen. Die IA kam nur noch auf 21,4 und Siumut auf 14,7 Prozent, womit die Koalition ihre Parlamentsmehrheit klar eingebüßt hat.
Die Wahlbeteiligung auf der Insel, auf der rund 57 000 Menschen leben, war mit 70 Prozent höher als gewöhnlich. Seit der Bildung der ersten eigenen grönländischen Regierung 1979 haben Siumut oder IA stets den Regierungschef gestellt. Eine 2021 gebildete Koalition der Linken von Egede mit den Naleraq-Populisten war bereits im Jahr darauf zerbrochen.
»Wir respektieren das Ergebnis der Wahl«, erklärte Regierungschef Mute Egede. »Jetzt beginnt die Arbeit in der neuen Wahlperiode. Und wir sind gespannt zu hören, was die Parteien für die Verhandlungen anbieten werden – wir sind bereit.« Jens-Frederik Nielsen, der vom Wahlsieg selbst überraschte Vorsitzende der Demokratischen Partei, betonte: »Die Demokraten sind offen für Gespräche mit allen Parteien und streben nach Einheit, vor allem angesichts dessen, was im Ausland passiert.«
Der 33-Jährige dürfte zunächst mit den Nationalisten über die Bildung einer Koalition verhandeln. »Das ist die zweitgrößte Partei, daher kommen wir um sie nicht herum«, sagte Nielsen. Naleraq-Chef Pele Broberg schließt ein solches Bündnis ebenfalls nicht aus. Bei einem Scheitern steht voraussichtlich auch die links-grüne IA des scheidenden Kabinettschefs Egede zum Mitregieren bereit, will man Neuwahlen verhindern. In dem Fall könnte die ebenfalls ins Parlament eingezogene kleine konservative Partei Atassut der dritte Koalitionär werden.
Mit der Trump-Debatte hatte Grönlands Regierungschef weltweit Bekanntheit erlangt, wobei er erklärte, dass die Insel nicht zum Verkauf stehe. Dieser Kontext erklärt auch das große internationale Medieninteresse an der Abstimmung mit gerade mal etwas mehr als 40 000 Wahlberechtigten. Zugleich betonte Egede stets das Interesse an einer stärkeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den USA. Die unterhalten an der Nordwestküste der Rieseninsel seit Jahrzehnten einen wichtigen Luftwaffenstützpunkt.
Nicht nur Trumps Begehrlichkeiten, sondern vor allem die Sorgen und Wünsche der eigenen Bevölkerung stellen die kommende Regierung in Nuuk vor große Herausforderungen. Ungeachtet aller Unabhängigkeitsbestrebungen bleibt Grönland auf unbestimmte Zeit auf die finanzielle Unterstützung durch das dänische Mutterland angewiesen, über das auch der Großteil der Handelsbeziehungen läuft. Allerdings dürfte Nuuk gegenüber Kopenhagen auf mehr Mitsprache bei die Insel betreffenden außenpolitischen Fragen drängen.
Trotz ihrer Naturschätze ist die dünnbesiedelte Region wirtschaftlich allein nicht lebensfähig. Mit Jagd, Fischerei und Tourismus ist kein Staat zu machen, der Bergbau in schwer zugänglichen Gebieten mit arktischem Extremklima benötigt hohe Investitionen und einen langen Anlauf, bevor er rentabel werden könnte. Zudem ist er mit großen Umweltrisiken behaftet[3].
Auch die neue Regierung wird an Grönlands Erbe mit gravierenden strukturellen und sozialen Problemen zu tragen haben. Alkohol- und Drogenmissbrauch sind weit verbreitet. Um den Grönländern einen ausreichenden Lebensstandard zu ermöglichen, sind staatliche Subventionen unverzichtbar. Das Gesundheitswesen beschränkt sich auf die medizinische Grundversorgung. Es fehlt an Fachkräften, während die meisten Grönländer nur die 9. Klasse als höchsten Abschluss haben.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189710.machtwechsel-wohin-driftet-groenland-politisch.html