nd-aktuell.de / 14.03.2025 / Politik / Seite 1

Wer hat Angst vor der »Prostitutionslobby«?

Ruby Rebelde spricht über falsche Vorstellungen von Prostitutionskritik und strategische Einschüchterungen durch Klagen

Interview: Tanja Röckemann
Unter dem Symbol des roten Schirms protestierten im Juni 2023 Demonstrierende gegen das Prostituiertenschutzgesetz.
Unter dem Symbol des roten Schirms protestierten im Juni 2023 Demonstrierende gegen das Prostituiertenschutzgesetz.

Sie wurden auf Unterlassung verklagt. Was ist passiert?

Ich habe im Mai 2023 gesagt, der Verein »Sisters e.V.« nutze Argumentationen, nämlich beispielsweise den Begriff Prostitutionslobby, die strukturell antisemitisch seien. Daraufhin verklagte der Verein mich wegen Beleidigung. Es folgten Abmahnungen und ein Eilverfahren in zwei Instanzen, 2023 und 2024, vor dem Landgericht und dem Kammergericht Berlin. Im Februar 2024 urteilte das Landgericht, dass meine Aussage von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Daraufhin erhob »Sisters« Klage – die das Landgericht Berlin Ende Februar abwies.

Das heißt, es gibt jetzt ein Urteil?

Ja. Zunächst gab es einen Vergleichsvorschlag, den ich aber nicht angenommen habe. Das Urteil hat jetzt bestätigt, dass dieser Impuls richtig war. Ich bin eh schon diejenige, die in der ganzen Sache absolut das Nachsehen hat. Die Gegenseite kann mit dem Urteil nicht gut umgehen und droht nun mit Berufung. Sie behaupten öffentlichkeitswirksam, ich hätte sie angegriffen, dabei waren sie es, die seit Jahren Sexarbeitende und damit auch mich politisch attackieren und als »Prostitutionslobby« verunglimpfen. Diese Argumentation der »Prostitutionslobby« habe ich auf Ursprünge und Verwendungen zurückverfolgt. Aufgrund dieser Recherchen habe ich den Begriff als strukturell antisemitische Verschwörungserzählung eingeordnet.

Inwiefern haben Sie das Nachsehen?

Zunächst einmal war ich Gegenstand einer Strafanzeige. Die ist zwar eingestellt worden, aber ich bin im Zuge dieser ganzen Schlammschlacht »gedoxxt« worden (persönliche Informationen wurden im Internet veröffentlicht, Anm. d. Red.) und bin jetzt Beklagte in einem Zivilprozess – mit den entsprechenden Kosten. Dabei habe ich doch schlicht und einfach eine Kritik, eine These geäußert. Meine historischen Recherchen haben eindeutig ergeben, dass es in der Geschichte der Frauenbewegung Belege für die Verbindung von jüdischen Menschen und Prostitution gibt, die bis heute in der Erzählung der Prostitutionslobby erhalten geblieben sind. Deshalb habe ich das als eine antisemitisch konnotierte Verschwörungserzählung eingestuft und daraus wird nun von der Klägerin gemacht, ich hätte sie persönlich als Antisemitinnen oder als antisemitisch bezeichnet.

Hier geht es um die Vorwürfe von Persönlichkeitsverletzung und Schmähkritik, oder? Was ist denn damit eigentlich genau gemeint?

Schmähkritik ist eine juristische Kategorie für Kritik, die von einer Person nicht hinzunehmen ist: Sie zielt auf die persönliche Herabsetzung, wobei die Diffamierung im Vordergrund steht. Im Urteil des Kammergerichts über meinen Fall wurde das abgewogen und der Richter hat klargestellt, dass meine Äußerungen keine Schmähkritik darstellen. Hier muss berücksichtigt werden, dass es sich um eine politisch sehr umkämpfte Debatte handelt. Das Urteil des Landgerichts hat diese Sichtweise nun bestätigt.

Können Sie noch mal ein bisschen mehr zum Begriff der »Prostitutionslobby« sagen?

Der Begriff »Prostitutionslobby« taucht in den deutschen Medien vermehrt ab 2013 auf, etwa im Zusammenhang mit dem Appell gegen Prostitution, der von Alice Schwarzer initiiert und in der »Emma« veröffentlicht wurde. Die moderne Anti-Sexarbeitsbewegung baut hier ein pauschales Bedrohungsszenario auf, das auf sexarbeitende Menschen projiziert wird und sie mit kriminellen Machenschaften in Verbindung bringt – ebenso wie dort übrigens von einer »Translobby« oder »Genderlobby« fantasiert wird. Es wird unterstellt, dass wir mit Bordellbetreibern zusammenarbeiten und Teil eines weltumspannenden Netzwerks sind. Diese Vorwürfe wollte ich genauer untersuchen, da sie in der Regel ohne konkrete Belege geäußert werden. Besonders im Zuge der Corona-Pandemie, als Verschwörungserzählungen richtig Konjunktur hatten, stellte sich für mich die Frage, warum ausgerechnet eine so marginalisierte und diverse Gruppe wie Sexarbeitende mit Verdächtigungen der Allmacht belegt wird.

Und haben Sie darauf eine Antwort gefunden?

Dass es eine lange Geschichte antisemitischer Zuschreibungen in Verbindung mit »prostitutionskritischen« Äußerungen gibt, die bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Damals war in der neo-abolitionistischen Frauenbewegung die Vorstellung verbreitet, dass »die Juden« oder »die Fremden« für den Mädchen- und Frauenhandel sowie die Prostitution verantwortlich seien. Diese Zuschreibung hat sowohl rassistische als auch antisemitische Züge und taucht auch nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder in Redebeiträgen und Veröffentlichungen auf.

Sie haben ein Buch mit dem Titel »Warum sie uns hassen« geschrieben, das Mitte Mai erscheinen wird. Behandeln Sie darin auch alle diese Fragen?

Ja. Ich habe mich darin aber auch noch eingehender mit der Frage beschäftigt, warum Anti-Sexarbeitsnetzwerke häufig so transfeindlich sind und analysiere die historischen Ursachen dafür, warum Sexarbeitende in der Gesellschaft diskriminiert und stigmatisiert werden. Außerdem betrachte ich die politischen Netzwerke, die seit der frühen Frauenbewegung, im sogenannten »Neo-Abolitionismus«, gegen Sexarbeitende wirken und diese aus ihrem Verständnis von Feminismus ausschließen.

Tatsächlich gibt es ja Menschenhandel, gerade auch im Bereich der Prostitution. Aber das ist nicht das, was Leute wie Alice Schwarzer mit einer »Lobby« meinen, oder?

Das ist eine interessante Frage. Wie ich bereits erwähnte, reicht die »prostitutionskritische« Bewegung innerhalb des Feminismus etwa 150 Jahre zurück. Damals verwendete man für den organisierten Mädchen- und Frauenhandel den Begriff »White Slavery«, den wir mit unserem aktuellen Rassismusverständnis nicht mehr verwenden würden. Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gab es immer wieder gesellschaftliche Besorgnis über einen möglichen Anstieg dieses Phänomens, wobei fälschlicherweise unterstellt wurde, dass jede Frau Gefahr liefe, ein Opfer von Menschenhandel zu werden.

Eine Moralpanik?

Genau. Ebenso wie heute erhob die damalige Diskussion um Prostitution den Verdacht, dass sie grundsätzlich problematisch sein könnte – ohne Belege dafür zu liefern. Während Prostitution im Deutschen eine vereinbarte Dienstleistung bedeutet, umfasst der Begriff Menschenhandel sexuelle Ausbeutung und sexuelle Zwangsarbeit. Die Diskussion über die Abschaffung von Menschenhandel wird oft mit einem Verbot von Prostitution vermischt, obwohl beide rechtlich und begrifflich unterschiedlich sind.

Frauen, die vom Menschenhandel betroffen sind, kommen meist aus Osteuropa und sind von Armut betroffen. Aber Menschen wie Alice Schwarzer interessiert gar nicht, welche Rolle dabei repressive Grenzpolitik oder die unmenschlichen Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor spielen. Damit noch mal zurück zu Ihrem Verfahren: Ist es eine sogenannte SLAPP-Klage, also eine strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung? Und wie wirksam ist die Einschüchterung?

Ich würde sagen, es ist eine SLAPP-Klage. Der von mir geäußerten Kritik wurde nicht inhaltlich begegnet, sondern mit Repression und dem Versuch, mich zum Schweigen zu bringen. Natürlich kann Kritik an strukturellem Antisemitismus unangenehm sein, aber wir müssen darüber sprechen. Während die Klägerin ein Verein ist, stehe ich als beklagte Einzelperson ganz alleine da. Und wenn ich allein sage, dann meine ich allein. Viele Organisationen ducken sich beim Thema Sexarbeit und Antisemitismus weg. Die Anti-Sexarbeits-Bewegung führt seit mehr als einem Jahrzehnt eine aggressive und hochemotionale Kampagne: Auch das schreckt Leute ab und verbreitet Angst, auch verklagt zu werden.

Sie haben gesagt, dass viele Menschen sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen wollen. Aber eigentlich geht es hier doch um viel mehr – es ist ein politisches Programm, das mit solchen Mitteln der Klagen auf eine autoritäre Gesellschaft abzielt.

Ja. Ich denke, wir haben es mit einem Backlash zu tun, weil emanzipatorische Bewegungen in der jüngeren Vergangenheit ja doch auch einiges erreicht haben. Hier wird ein antimoderner, autoritärer Gesellschaftsentwurf zurückgeholt. Das geht oft mit aggressivem Vorgehen gegen politische Gegner*innen einher, wie diesen Einschüchterungsklagen. Gleichzeitig operieren diese Klagen mit Empörung und Gekränkt-sein, und vermeiden so, sich mit Kritik an antidemokratischen oder strukturell antisemitischen Inhalten auseinanderzusetzen.
Was wenige wissen: Diese »emanzipatorische« Frauenbewegung ist schon oft Bündnisse mit christlich-fundamentalistischen und ultra-konservativen Kräften eingegangen. Auch ein großes Problem ist, dass sich ein breites Spektrum an Menschen aus der bürgerlichen Mitte von den (zu) einfachen Lösungen angezogen fühlt, die hier angeboten werden. Kampagnen, gemeinsame Feindbilder und Angriffe, wie SLAPP-Klagen schmieden also aus unterschiedlichen Gruppen eine stärkere, schlagkräftigere Bewegung.

Was bleibt für Sie nun von dem Ganzen stehen?

Das Urteil des Landgerichts Berlin erleichtert mich. Gleichzeitig droht die Gegenseite nun öffentlichkeitswirksam mit Berufung und es zeigt sich: Manche Medien greifen die Empörung von Vereinen wie »Sisters« nur zu gern auf. Für meine Begründung interessieren sie sich dagegen nicht. Da wird mit zweierlei Maß gemessen. Für mich ist wichtig, auf die in diesem Verfahren enthaltenen rechtsoffenen Bewegungen und Dynamiken hinzuweisen. Es fehlt der Gegenseite einfach an der Bereitschaft, das Ganze auch mal kritisch zu hinterfragen. Und gerade in der Anti-Sexarbeitsbewegung agieren neben bürgerlichen oder linken Frauenrechtsorganisationen ganz direkt ultrakonservative, christlich-fundamentalistische Gruppen. Diese Verflechtungen verdienen mehr Aufmerksamkeit.