nd-aktuell.de / 14.03.2025 / Politik / Seite 1

Ukraine-Krieg: Erst Begeisterung, dann Ernüchterung

Ukrainische Reaktionen auf einen möglichen Waffenstillstand

Bernhard Clasen
Krieg und Zerstörung gehen in der Ukraine vorerst weiter
Krieg und Zerstörung gehen in der Ukraine vorerst weiter

Enttäuschung macht sich in der Ukraine nach Putins Reaktion zum Vorschlag eines 30-tägigen Waffenstillstandes[1] breit. »Traurig, dass ein Waffenstillstand erst mal nicht zustande kommen wird«, meint die Rentnerin Nadja gegenüber »nd«. »Die Punkte, die Putin angesprochen hat, sind ja durchaus überlegenswert.« Sie hat Verständnis für Putins Forderung nach einem Stopp von Waffenlieferungen [2]und Mobilisierungen während der Feuerpause. »Nur: was Putin für die Ukraine fordert, muss auch für Russland gelten. Will heißen: wenn wir in diesen 30 Tagen keine Waffen erhalten, keine Soldaten mobilisieren dürfen, dann muss es auch für Russland ein 30-tägiges Moratorium auf die Produktion von Waffen und die Entsendung von Soldaten ins Kriegsgebiet geben«, meint sie.

Der Videoblogger Serhij Jahodsinskyj kritisiert Putins Aussagen in mehrerer Hinsicht. Wie könne man nur eine Rede über ein Thema, wo es um das Leben von Zigtausenden geht, mit den Worten beginnen: »nun ja, wir haben ja alle viel zu tun«, so Jahodsinskyj auf seinem Telegram-Kanal. Der Blogger findet es nicht richtig, dass Putin ausgerechnet in dieser Rede auch Ländern wie Brasilien und Südafrika gedankt habe. Thema sei nun mal die Friedensinitiative von Donald Trump, so Jahodsinskyj. »Warum jetzt Politikern danken, die es nicht geschafft haben, Frieden zu bringen?«, fragt er sich.

Die Rechnung wurde ohne Putin gemacht

Man müsse auch sehen, was Putin nicht gesagt habe, meint Wjatscheslaw Asarow aus Odessa. Putin habe in seiner Rede dieses Mal nicht die Forderung auf eine russische Kontrolle der Gebiete Saporischschja, Cherson, Donezk und Luhansk erhoben, habe von der Ukraine nicht die Anerkennung der von Russland eroberten Gebiete gefordert. Im Kern gehe es Putin um einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine und ein Ende der Zwangsrekrutierungen.

Hatte man in der Ukraine die ersten Tage nach Bekanntwerden des US-amerikanisch-ukrainischen Angebots eines 30-tägigen Waffenstillstandes noch Begeisterung und Erleichterung gespürt, ist nun Ernüchterung eingetreten. Gegner und Befürworter sind sich einig: Die Unterhändler von Saudi-Arabien haben die Rechnung ohne Putin gemacht. »Heute ist es ähnlich wie im Januar, kurz nach dem Antritt von Trump. Bei uns in Odessa haben einige wirklich geglaubt, dass Trump sofort nach seinem Antritt Frieden bringt, die Luftangriffe aufhören und wir endlich in Ruhe leben können«, meint ein Artur gegenüber »nd«. »Wie konnte man nur so naiv sein? Und nach der Einigung von Saudi-Arabien auf einen Waffenstillstand haben einige geglaubt, jetzt wird es zumindest besser werden. Aber die Luftangriffe halten an. Putin wird keinen bedingungslosen Waffenstillstand unterschreiben.«

Verhandlungen mit Putin sind sinnlos

Für Mustafa Najem, einem Mann der ersten Stunde der Maidan-Bewegung, ist es eindeutig, dass Putin überhaupt keine Feuerpause will. »Moskau will keinen Waffenstillstand, sagt dies aber nicht direkt. Stattdessen tut der Kreml so, als wäre er einverstanden, stellt aber Bedingungen, die offensichtlich nicht erfüllt werden können«, so Najem bei »New Voice«. »Der Kreml meint: ›Ein Waffenstillstand ist möglich, aber nur wenn wir gewinnen‹. Das macht jegliche Verhandlungen sinnlos[3].« Putin tue so, als ob es nur die Ukraine sei, die einen Waffenstillstand brauche.

Die Enttäuschung in der Ukraine über Putins Reaktion ist auch deswegen so groß, weil die Ukraine in ihrem mit den USA im saudi-arabischen Dschidda ausgehandelten Vorschlag Kompromisse eingegangen ist, die noch wenige Tage und Wochen zuvor undenkbar waren. So hatte Wolodymyr Selenskyj noch wenige Tage vor Dschidda einen teilweisen Waffenstillstand in der Luft und auf See gefordert. Doch auf Druck der USA musste sich die ukrainische Delegation auf einen kompletten Waffenstillstand einlassen.

Einstellung zu besetzten Gebieten hat sich geändert

Auch in der Frage, wie man mit den von Russland besetzten Gebieten umgeht, veränderte sich die ukrainische Position. Wenige Stunden vor dem Treffen in Dschidda hatte Wolodymyr Fesenko, der wohl einflussreichste ukrainische Politologe, auf Facebook die Richtung vorgegeben: »Wenn es nur um die Bereitschaft geht, das Feuer entlang der Frontlinie einzustellen, und darum, dass die bereits von Russland besetzten Gebiete de facto unter russischer Kontrolle bleiben, dann ist dies ein unvermeidliches und durchaus akzeptables Zugeständnis unsererseits.«

Wer noch vor Monaten eine Bereitschaft zur de-facto, nicht de-jure, eine Anerkennung der russischen Kontrolle über ukrainische Gebiete gefordert hätte, hätte mit einem Verfahren rechnen müssen. Man fühlt sich an die Zeiten des Kalten Krieges erinnert, als die westlichen Staaten Ost-Berlin zwar nie als Hauptstadt der DDR anerkannt hatten, faktisch aber genau damit leben konnten.

Kämpfe gehen weiter

Selten hat sich die öffentliche Debatte in der Ukraine so schnell gewandelt wie in der ersten März-Hälfte. Honoriert wurde die Kompromissbereitschaft nicht.

Pessimistisch stimmt viele Menschen in der Ukraine, dass der Krieg weitergeht wie bisher. Vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus. Nun zeigt sich auch Putin der Öffentlichkeit im Tarnanzug. Gleichzeitig haben die russischen Luftangriffe auf die Ukraine und die ukrainischen Luftangriffe auf Russland nicht nachgelassen. Mehrere Ukrainer*innen wurden in den letzten Tagen durch russische Luftangriffe getötet, und die Ukraine wiederum hat den bisher größten Drohnenangriff auf Russland gestartet.

Wenn das die Begleitmusik von Verhandlungen ist, drängt sich der Verdacht auf, dass die Seiten gar keinen Waffenstillstand wollen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189709.ukraine-krieg-selenskyj-sagt-ja-zum-waffenstillstand.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189767.ukraine-krieg-putin-sagt-ja-aber-zum-waffenstillstand.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189761.ukraine-krieg-wollen-die-russen-frieden.html