nd-aktuell.de / 14.03.2025 / Berlin / Seite 1

Jungadler als Erben der Hitlerjugend

Brandenburger Staatsanwalt wird verdächtigt, die vor 15 Jahren verbotene HDJ wiederbelebt zu haben

Andreas Fritsche und Ralf Fischer
Es soll schon lange wie HJ klingen und aussehen: Neonazitreffen 1968 im Teutoburger Wald im Geiste der Hitlerjugend und der Heimattreuen Jugend
Es soll schon lange wie HJ klingen und aussehen: Neonazitreffen 1968 im Teutoburger Wald im Geiste der Hitlerjugend und der Heimattreuen Jugend

Der Spielfilm »Junge Adler« von 1944 sollte zu Höchstleistungen in der Rüstungsindustrie ermuntern und ist auch ein Beispiel für die verlogene Phrase von der Volksgemeinschaft. Lehrlinge einer Flugzeugfabrik fertigen in heimlichen Nachtschichten Kanzeln für Flugzeuge, um das Produktionsziel nach einem Brand im Werk doch noch zu erreichen. Dabei bewährt sich Theo, der von den anderen Lehrlingen zum wertvollen Volksgenossen erzogene Sohn des Direktors. Theo ist erst ein Hallodri, der seine Klassenkameraden großspurig in die Kneipe einlädt, betrunken einen Schaden von 800 Reichsmark von einem abgestellten Auto verursacht und seinen Vater anlügt. Der nimmt ihn vom Gymnasium und steckt ihn als Lehrling in die Fabrik. Dass der Vater die offene Zeche von 150 Mark begleichen und auch die Reparatur des Autos spielend bezahlen kann, während einfache Leute dazu nicht die Mittel hätten, gerät zur Nebensache. Am Ende gibt es ein rührseliges Konzert und alle sind glücklich.

Dass der Zweite Weltkrieg tobt, wird nicht erwähnt. Es fällt nur auf, dass bis auf den von Willy Fritsch gespielten Ausbilder nur Frauen, Jugendliche und alte Männer auftreten. Die wehrfähigen Männer sind ja an der Front. Dass die gebauten Flugzeuge Bomber sind, erkennt der Experte. Dem gemeinen Zuschauer wird es aber nicht gesagt. Propagandaminister Joseph Goebbels gefällt der Film sehr gut. Er passt zu seiner berüchtigten Sportpalastrede[1] vom »totalen Krieg« von Februar 1943. Dass der Streifen von Mai 1944 bis Januar 1945 nur 4,5 Millionen Reichsmark einspielt – bei Produktionskosten von zwei Millionen – gilt als Beleg für einen sehr mäßigen Erfolg beim Publikum. Goebbels muss erkennen, dass die an seichte Unterhaltung gewöhnte Bevölkerung gerade keine politischen Filme sehen will.

Wozu das alles hier schildern? Der Filmtitel »Junge Adler« soll mutmaßlich das Vorbild sein für den Namen einer bislang unbekannten neofaschistischen Jugendorganisation, die Jungadler. Diese wiederum sollen eine illegale Fortsetzung der 2009 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) sein. »Es ist ein wirklich widerlicher Verein, der schon Kinder und Jugendliche mit scheinbar unpolitischen Freizeitveranstaltungen für das neonazistische Gedankengut gewinnen will«, hatte der 2023 verstorbene Politiker das Verbot begründet.

»Völkische Lieder von sich geben und die Kinder immer weiter rechts einschwören.«

Ein HDJ-Insider

Nun steht aber ein brisanter Vorwurf im Raum. Ein 2023 zum Oberstaatsanwalt beförderter Jurist aus Brandenburg soll die HDJ unter dem Namen Jungadler als Mitglied oder Unterstützer fortgeführt haben. So einmalig der vorerst unbewiesene Vorwurf – es gilt die Unschuldsvermutung –, so einmalig auch die Folgen: Am 24. Januar durchsuchten Staatsanwälte und Kriminalpolizisten aus Berlin die Generalstaatsanwaltschaft des Nachbarbundeslandes in Brandenburg/Havel und gleichzeitig zwei Wohnhäuser in der Hauptstadt. Bevor er in der Generalstaatsanwaltschaft anfing, soll der in Verdacht geratene Jurist im Potsdamer Justizministerium in einem Referat tätig gewesen sein, das nach nd-Informationen auch für den Rechtsextremismus und politische Strafsachen zuständig war.

Theoretisch könnte er der rechten Szene wertvolle Tipps gegeben haben. Ob er nun zumindest vorübergehend vom Dienst suspendiert ist und ihm die Zugriffsrechte auf sensible Datenbanken entzogen sind, ließ sich nicht in Erfahrung bringen. Gernot Bantleon von der Brandenburger Generalstaatsanwaltschaft bittet auf nd-Anfrage um Verständnis, »dass hinsichtlich etwaiger dienstrechtlicher Maßnahmen allgemein keine Auskünfte erteilt werden«. Auch das Potsdamer Justizministerium hält sich erwartungsgemäß bedeckt. Pressesprecher Sebastian Thiele verweist unter anderem auf die laufenden Ermittlungen und Persönlichkeitsrechte. Ebenso Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner für die Berliner Justiz. Es gebe eine große Gefahr der öffentlichen Vorverurteilung. Er könne selbst bei einem sogenannten Anfangsverdacht keine Auskunft erteilen, erklärt Büchner.

Alles andere wäre eine Überraschung gewesen. Recht und Gesetz sehen das so vor. Eine Sippenhaft, wo jemand für etwaige Verfehlungen von Verwandten einstehen müsste, gab es in der Nazizeit, gibt es aber in der Bundesrepublik glücklicherweise nicht. Angehörige des in Verdacht geratenen Mannes sollen Funktionäre der HDJ gewesen sein. Aber er selbst soll sich nach nd-Informationen im Justizministerium politisch völlig unauffällig verhalten haben.

Das meiste, was über den Fall bekannt ist, entstammt gemeinsamen Recherchen der Wochenzeitung »Die Zeit« und des ARD-Magazins »Kontraste«. Im Fernsehen drei Tage vor der Bundestagswahl am 23. Februar ausgestrahlt, ist die Angelegenheit allerdings etwas untergegangen. Flugblätter, Fotos, Kalender und handschriftliche Aufzeichnungen waren der Zeitung zugespielt worden. Auch private Videos konnten die Journalisten auswerten. Sie haben nach eigenen Angaben Hinweise auf Fahrten etwa in den Harz und bis ins norwegische Narvik, auf Zeltlager und Feiern in den Jahren 2018 bis 2024. Im Magazin »Kontraste« kam ein Insider zu Wort, der einschätzen sollte, was er von einem ihm vorgelegten Foto hält. Er sagte: »Das ist für mich eindeutig der Beginn eines langen Wochenendes der HDJ mit Torbogen aufstellen, mit Zelt aufbauen, am Lagerfeuer sitzen und da dann schön völkische Lieder von sich geben und die Kinder immer weiter rechts einschwören.«

Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten sich in der alten Bundesrepublik mehrere Organisationen, die Kinder einer beständigen rechtsextremen Indoktrination aussetzten. Die Heimattreue Deutsche Jugend ging 1990 hervor aus einer Abspaltung vom Freibund Heimattreuer Jugend. Es gab auch schon früher Hinweise auf mögliche Nachfolgeorganisationen der 2009 verbotenen HDJ. 2014 wurde bekannt, dass in der Lüneburger Heide Kinder und Jugendliche teils uniformiert an einem rechten Zeltlager teilnahmen. Sie gehörten dem Deutschen Jugendbund Sturmvogel an. Bereits 2013 gab es ein Sommerlager dieses Jugendbundes im brandenburgischen Grabow. Ende 2015 warnte die Landesregierung vor den Aktivitäten des Sturmvogels: »Hinter diesen völkisch-nationalen Jugendlagern verbirgt sich oft eine rechtsextreme Parallelwelt.«

Für Schlagzeilen in Brandenburg und darüber hinaus sorgte die Heimattreue Deutsche Jugend im Zusammenhang mit dem AfD-Landesvorsitzenden und Landtagsfraktionschef Andreas Kalbitz[2]. Der hatte lange vor Gründung der AfD im Jahr 2007 an einem Pfingsttreffen der HDJ teilgenommen. Kalbitz wollte sich dort nach eigenen Angaben nur mal aus Interesse umsehen. Richtig in der HDJ mitgemacht zu haben, verneinte er, obwohl er auf einer Liste dieser Neonazi-Truppe verzeichnet ist.

Der dem offiziell aufgelösten völkischen Flügel[3] der AfD zugerechnete Kalbitz ist inzwischen schon lange kein Partei- und Fraktionschef mehr, gehört dem im September gewählten neuen Landtag nicht mehr an und ist nicht einmal mehr Parteimitglied. Rein formell betrachtet ist er sogar nie in der AfD gewesen. Denn die Partei erklärte seine Mitgliedschaft 2020 rückwirkend für nichtig. Die HDJ spielte in den gerichtlichen Auseinandersetzungen darum dann am Ende gar keine Rolle mehr[4]. Da war entscheidend, dass er 1994 den Republikanern angehört hatte und dies 2013, als er sich der AfD anschloss, in seinem Aufnahmeantrag verschwiegen haben soll. Dabei verlangt die AfD von ihren Mitgliedern, frühere Mitgliedschaften anzugeben.

Während Kalbitz und seine HDJ-Geschichte in den Jahren 2020 bis 2022 Aufmerksamkeit erregten, machten im Verborgenen die Jungadler weiter wie gehabt und ein Staatsanwalt mit Spezialwissen wirkte vielleicht tatkräftig dabei mit – was aber erst noch zu beweisen wäre.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/974403.bei-g-polizisten-funkten-goebbels-rede.html?
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1147339.andreas-kalbitz-rechtsextremist-ohne-parteibuch.html?
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1148055.afd-die-afd-hat-ihren-fluegel-nicht-gestutzt.html?
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1163189.gerichtsurteil-spekulation-auf-noch-extremere-afd.html?