Das Chemnitzer Wildgatter kann bleiben, ebenso das Freibad im Stadtteil Wittgensdorf, eine Schwimmhalle, etliche Stadtteilbibliotheken und Bürgerbüros am Stadtrand. All diese Einrichtungen hatte die Stadtverwaltung als Teil eines weitreichenden Sparpakets[1] schließen wollen. Doch der Stadtrat spielte nicht mit. Er ließ einen Großteil der Vorschläge durchfallen. Man werde, sagte Susanne Schaper, die Chefin der Linksfraktion, keinen »Haushalt des Pessimismus« mittragen.
Im Chemnitzer Rathaus setzte man den Rotstift an, weil im städtischen Etat in den Jahren 2025 und 2026 ein Minus von je 100 Millionen Euro prognostiziert wird. Allerdings trägt die Stadt dafür kaum selbst Schuld: »Wir haben nicht über unsere Verhältnisse gelebt«, sagt Schaper. Vielmehr werden den Kommunen immer mehr Aufgaben von Bund und Ländern übertragen, ohne dass sie das nötige Geld dafür erhalten. Zu den von Schaper genannten Beispielen gehört das Bildungsticket. Die Kosten von über 5 Millionen Euro werden nur zur Hälfte erstattet.
Auch steigende Sozialausgaben, etwa Mehrkosten bei der Pflege, der Jugendhilfe sowie beim Bürgergeld, bringen viele Kommunen in immer größere Schwierigkeiten. Der Deutsche Städtetag sprach angesichts eines binnen Jahresfrist verdoppelten Defizits von bundesweit 13,2 Milliarden Euro im Jahr 2024 von einer »wirklich dramatischen« Situation. In Sachsen summierte sich das kommunale Haushaltsloch 2024 erstmals auf über eine Milliarde Euro[2], Tendenz steigend. Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Städtetags, mahnte den Bund zum Handeln. So bräuchen die Städte zum Beispiel »endlich« einen höheren Anteil an den Gemeinschaftssteuern.
Weil derlei Entlastung nicht absehbar ist, setzen Stadt- und Kreisverwaltungen den Rotstift an. Eine »Liste der Grausamkeiten«, die der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) vorgelegt hat, sieht Einschnitte bei Jugendhäusern, Familien- und Seniorenzentren oder Beratungsstellen für Migranten vor; Schließungen und Entlassungen wären die Folge. Die Dresdner Verkehrsbetriebe sollen zehn Prozent ihres Angebots streichen.[3] In Chemnitz wurde auch über höhere Elternbeiträge für die Kitas bei gleichzeitigem Stellenabbau diskutiert.
»Wir haben nicht über unsere Verhältnisse gelebt.«
Susanne Schaper Stadträtin Chemnitz
Der Chemnitzer Stadtrat ließ viele der Maßnahmen indes durchfallen. Beschlossen wurde unter anderem ein stärkerer Stellenabbau im Rathaus, trotz einer Warnung des Personalrats, der einen »Zusammenbruch« der Verwaltung befürchtet. Auch Gebühren für Bibliothek und Volkshochschule sollen steigen. Insgesamt summieren sich die Maßnahmen laut Schaper auf 30 Millionen Euro. Die Stadtspitze fürchtet, dass die Kommunalaufsicht das als nicht ausreichend ansieht und den städtischen Etat nicht genehmigt. Dann werde man in einigen Wochen »erneut über Konsolidierungen beraten«, sagt Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD).
Nicht nur in Chemnitz verweigern sich ehrenamtliche Kommunalpolitiker derart weitreichenden Einschnitten. Auch im Landkreis Görlitz[4] scheiterte kürzlich der Haushalt für die nächsten beiden Jahre. Er enthielt ein Defizit von 166 Millionen Euro und basierte auf der Hoffnung, dass ein Gutteil vom Land ausgeglichen wird. 33 Kreisräte stimmten zu; es gab 33 Gegenstimmen vorwiegend von Linke, BSW und AfD, zudem eine Enthaltung. Abgelehnt wurde auch ein Sparpaket, das Einschnitte etwa in der Verwaltung und im Nahverkehr vorsah. Landrat Stephan Meyer erklärte im Anschluss, der Landkreis sei nicht mehr handlungsfähig; man sei »nicht in der Lage, Investitionen im Bereich von Straßen, Schulen oder Rettungswachen umzusetzen«. Der CDU-Politiker drängt nun auf einen neuen Anlauf bei einer baldigen Sondersitzung.
In der Landeshauptstadt berät der Stadtrat diese Woche über die Sparvorschläge des Oberbürgermeisters. Vorab wurde in unterschiedlichen Konstellationen über Kompromisse beraten, ohne dass sich bislang eine Einigung abzeichnet. Größeren Verzug kann sich das Stadtparlament nicht leisten; die Finanzierung etlicher freier Träger wie auch die des Nahverkehrsunternehmens DVB sind nur bis Ende März gesichert. Gegen die dort geplanten Einschnitte hatten kürzlich drei Stadträte der Linken ein Bürgerbegehren gestartet. Auch gegen viele der anderen Kürzungen gibt es Protest. Für Donnerstag ist am Rand der Ratssitzung erneut eine Demonstration angemeldet, zu der über 1000 Teilnehmer erwartet werden.